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„Bouvard und Pécuchet“ von Gustave Flaubert

In dem Klassiker „Bouvard und Pécuchet“ machen sich zwei Biedermänner und Kopisten aus Paris, ausgestattet mit einem Erbe, in die Normandie auf und beginnen dort, zahlreiche Bereiche des Wissens zu erkunden, um so ihre Zeit auszufüllen, doch sie scheitern nach und nach kläglich, verlieren die Lust oder das Interesse. Flaubert soll zur Vorbereitung auf dieses Opus magnum, an dem er ab 1863 arbeitete, ehe er 1874 mit dem Schreiben begann, über 1000 Bücher gelesen haben.

Zwei Kopisten lernen sich zufällig in ihrer Arbeitspause in Paris kennen – so beginnt „Bouvard und Pécuchet“, und soweit ist das auch noch nichts Außergewöhnliches, doch die beiden verstehen sich wunderbar und stimmen in vielen Dingen so sehr überein, dass sie bald eine enge Freundschaft verbindet. Man könnte meinen, hier haben sich zwei gefunden, von außen betrachtet zwei nicht weiter auffällige mittelalte Herren von 47 Jahren, die ihrem sehr gewöhnlichen Beruf nachgehen, den sie aufgrund ihrer schönen Schrift erhalten haben, und dabei in ihrer freien Zeit gern das Leben genießen (Bouvard) oder Studien betreiben (Pécuchet).

Beide sind alleinstehend – und so entsteht, als Bouvard von seinem toten Onkel ein beträchtliches Erbe erhält, der Gedanke, Paris zu verlassen und aufs Land zu ziehen. Zunächst können sich die beiden nicht auf einen Ort einigen bzw. finden nicht das richtige Gut für ihren Ruhesitz – hier deutet sich bereits ihre Unentschiedenheit an -, doch dann entscheiden sie sich auf Zureden des Barberou für einen Landsitz bestehend aus einem Haus und Pachthof in Chavignolles zwischen Caen und Falaise in der Normandie.

Chavignolles ist ein kleiner Ort, dessen Einwohner die Bewohner eines typischen französischen Örtchens der damaligen Zeit symbolisieren – Honoratioren wie Bürgermeister, Großbauer, Arzt, Apotheker, Pfarrer, dann die Arbeiter und die übrigen Bauern sowie die Dienstboten und Angestellten. Bouvard und Pécuchet entscheiden, sich dort niederzulassen – und ihr erster Versuch besteht darin, sich in die Landwirtschaft zu vertiefen, indem sie theoretische Werke über eben dieses Thema wälzen und die so erworbenen Theorien in die Tat umsetzen.

Doch irgendwie möchte ihr Vorhaben, so wie sie es geplant haben, nicht ganz gelingen. Das Getreide gedeiht nicht gut, und die von ihnen gepflegten Obstbäume wollen ebenfalls keine Früchte tragen. Sie versuchen es trotzdem unbeirrbar weiter, haben sie sich doch auch bei den örtlichen Bauern Anregungen geholt. Dass sie vielleicht kein Händchen für den Ackerbau und den Obstbau besitzen, diese Idee kommt ihnen reichlich spät. Und so verlegen sich die beiden auf die Chemie, dann auf die Medizin.

Sie versuchen nun, den menschlichen Körper zu ergründen, bestellen sich nach einer Konsultation des örtlichen Arztes eine Puppe, die man zu Übungszwecken sezieren kann, wie es Mediziner in der Ausbildung tun, und beginnen tatsächlich, Menschen zu heilen. Dass das nicht auf die Gegenliebe des Arztes stößt, versteht sich von selbst: Zwei Kurpfuscher und Dilettanten, die in seinen Aufgabenbereich vordringen…

Nach und nach arbeiten Bouvard und Pécuchet auf diese und ähnliche Weise ein Wissensgebiet nach dem anderen ab: Egal ob Astronomie, Geologie, Archäologie, Geschichte, Esoterik, Theologie, Pädagogik oder andere – jedes Mal stürzen sie sich anfangs mit voller Leidenschaft in die neue Domäne, um am Ende auf eine andere Idee zu verfallen, weil sie in der vorangegangenen Wissenschaft entweder nicht mehr vorankommen oder weil sie die Lust oder das Interesse daran verloren haben. Am Ende wagen sich Bouvard und Pécuchet sogar, zwei Kinder zu erziehen, was sie mithilfe von Pädagogikliteratur zu bewerkstelligen versuchen.

Letztlich bleiben Bouvard und Pécuchet auf diese Weise auf der Stufe dilettierender Anfänger, da sie stets von einem Wissensgebiet zum anderen übergehen und daraufhin erneut scheitern. Auf eine gewisse Weise arbeitet sich Flaubert mit diesem Werk an dem Wissensdurst der Aufklärung ab, die versuchte, alle Wissensgebiete in Wörterbüchern zu erfassen – und wendet diesen Versuch anhand der beiden Dilettanten Bouvard und Pécuchet ironisch-satirisch ins Komische.

Letztlich erzeugt Flaubert damit aber auch eine Hommage an die Epoche der Aufklärung und ihren großen Eifer, das Wissen der Menschheit in geordnete Bahnen zu lenken, das in den Augen Flauberts jedoch, wenn man „Bouvard und Pécuchet“ liest, zum Scheitern verurteilt ist. Denn am Ende des Buches sitzen die beiden Protagonisten wieder an einem Schreibtisch und haben sich erneut ihrer ursprünglichen Arbeit, dem Kopieren zugewandt.

Nicht umsonst bezeichnet Flaubert dieses Werk als sein Meisterwerk. Denn hier beweist der französische Schriftsteller des Realismus sein ganzes Können, das auf der Lektüre von vorbereitender Literatur beruht und diese in ein mitunter sehr unterhaltsames Werk der Fiktion übersetzt. Denn auch wenn die Geschichte von Bouvard und Pécuchet vielleicht auf den ersten Blick etwas eintönig klingt, da sich immer wieder dieselben Abläufe wiederholen, schafft es Flaubert doch, mit Witz und Ironie Variation in seine Erzählung zu bringen.

Besonders gut gelungen ist das Kapitel über die Revolution von 1848, in der sich die beiden Biedermänner Bouvard und Pécuchet als fortschrittliche Anhänger der Republik und Demokratie entpuppen – einen Zug, den man ihnen eigentlich gar nicht zugetraut hätte. Auch gegenüber dem Pfarrer und der Kirche äußern sich die beiden bisweilen etwas kritisch, und dennoch studieren sie später die Theologie, nur um dabei nicht so wirklich zu einem Verständnis zu gelangen.

Man merkt bei der Lektüre, dass Flaubert bisweilen sein Vergnügen mit den beiden Charakteren Bouvard und Pécuchet hatte – und dennoch muss es ein schweres und anstrengendes Vorhaben gewesen sein, das er im Jahr 1863 begonnen hat und bis zu seinem Tod im Jahr 1881 nicht ganz abgeschlossen hatte. Es sollte die Krönung seines Schaffens werden – und blieb doch als posthumes Werk am Ende teils fragmentarisch. Das Ende ist nur als ein in Stichpunkten verfasstes Schlussfragment erhalten. Die Ausgabe von Hans-Horst Henschen, die beim Wallstein Verlag erschienen ist, ist zudem mit zahlreichen Anmerkungen versehen.

Bewertung: 5/5

Bibliographische Angaben:
Autor: Gustave Flaubert
Titel: Bouvard und Pécuchet
Übersetzung aus dem Französischen: Hans-Horst Henschen
Verlag: Wallstein Verlag
Seitenzahl: 464 Seiten
ISBN: 9783835339279
Kaufpreis: 34 €


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