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„Die pinke Linie“ von Mark Gevisser

Mit Bezug auf Viktor Orbáns Ungarn hat sich in den letzten Wochen eine Debatte entsponnen, in deren Zentrum die Rechte von LGBT-Menschen stehen. Mark Gevisser, der Autor des Sachbuchs „Die pinke Linie“, würde diesen Kampf zwischen fortschrittlichen und konservativen Kräften als eine pinke Linie bezeichnen, die durch Europa, aber auch durch das Land Ungarn selbst verläuft. Solchen pinken Linien spürt Gevisser in seinem Buch mit viel Detailliebe und Sachverstand nach.

Er rückt damit die Kämpfe von schwulen, lesbischen und trans Menschen auf der ganzen Welt ins Zentrum der Aufmerksamkeit – ein legitimes und überfälliges Anliegen, das mit diesem Autor den idealen Paten gefunden hat. Gevisser lebt mit seinem Mann in Südafrika, das als erstes afrikanisches Land 2006 die gleichgeschlechtliche Ehe einführte. Doch wie man gleich zu Beginn des Sachbuchs erfährt, verläuft zu dem weiter nördlich gelegenen Land Malawi eine der zahlreichen Konflikt- und Trennlinien, die Gevisser im Laufe seines Textes aufspürt und mit viel Gespür für Details analysiert.

Die titelgebenden pinken Linien sind Grenzlinien, denen Gevisser nachgeht und die entweder innerhalb eines Landes verlaufen oder zwischen verschiedenen Ländern auf einem Kontinent. Sie trennen Erlaubtes und Unerlaubtes, Gesellschaften, in denen queeres Leben und Menschenrechte für queere Menschen selbstverständlich geworden und akzeptiert worden ist, von solchen, in denen homosexuelle, bisexuelle, intersexuelle und transidente Menschen bis heute aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, ausgeschlossen werden oder gar kriminalisiert und im schlimmsten Falle bestraft werden.

Gevisser ist einmal um den gesamten Globus gereist, um solche Grenzziehungen für seine Leserinnen und Leser sichtbar, erkennbar und nachvollziehbar zu machen. Die Reisen, die den Autor zwischen 2012 und 2018 in die ganze Welt führten, mündeten in ein 600-seitiges Kompendium über queeres Leben in Uganda, Kenia, Mexiko, Argentinien, Russland, Israel, der Türkei, Ägypten, Thailand, Indonesien und Indien. Das Buch ist allerdings weniger, als es dies nun womöglich zu sein scheint, eine Reisereportage (obwohl dieser Aspekt auch hineinspielt) und besteht vielmehr aus dem Wechsel von 16 sich aneinanderreihenden Fakten- und Portrait- bzw. Reportagekapiteln.

In den Faktenkapiteln geht es ausschließlich um das Vermitteln einer spezifischen „pinken Linie“ bzw. eines bestimmten Aspekts des Kulturkampfs um geschlechtliche und sexuelle Freiheit für LGBT-Personen, wobei sich herauskristallisiert, dass sich der Fokus im 21. Jahrhundert zunehmend vom Kampf für Homosexuellenrechte oder die Ehe auf das nunmehr stark umkämpfte Schlachtfeld der Geschlechterfreiheit und Transrechte verlagert hat. Es wird im Laufe des Buches auch klar, dass die pinken Linien sich in unterschiedlichen Gesellschaften, je nachdem wie weit sie sich im Kampf um Menschenrechte bereits vorwärts bewegt haben, in unterschiedlichen Stadien befinden – und selbst in geographisch relativ nah beieinander liegenden Staaten wie einigen afrikanischen Staaten und Südafrika der Stand sehr unterschiedlich sein kann.

Gevisser geht es darum, in seinen Faktenkapiteln einen Kulturkampf oder Culture War zu beschreiben, der sich rund um das Thema LGBTIQ-Personen abspielt. Es gibt rechte (christliche oder konservative) Gruppen, denen daran gelegen ist, in westlichen Gesellschaften eine Gegenbewegung in der Gesellschaft durchzusetzen und Stimmung gegen die Rechte von queeren Menschen insgesamt, vor allem aber von inter und trans Menschen zu machen. Der Begriff „culture war“ wurde in den USA geprägt, um eine Spaltung der Nation in Bezug auf moralische Fragen zum Ausdruck zu bringen, die von der Republikanischen Partei betrieben wurde, um Wähler zu mobilisieren. Gevisser greift außerdem auf den Begriff der „moralischen Panik“ zurück, die von bestimmten Gruppen bewusst und zielgerichtet in Gesellschaften mithilfe von Medien, Demonstrationen und auch Fehlinformationen ausgelöst wird, um eine politische Agenda gegen LGBTIQ-Personen durchzusetzen.

Ein Beispiel für diese rechte Bewegung sind die „Demos für alle“ („Manifs pour tous“) in Frankreich, die auch nach Deutschland kamen, als es um die Eherechte schwuler und lesbischer Menschen ging. Da in vielen westlichen Gesellschaften Homosexuellen-Rechte inzwischen weitgehend konsolidiert sind, sieht Gevisser vor allem einen „Transgender-Culture-War“ am Werk und zieht eine neu aufgekommene pinke Linie rund um das Thema Geschlechtsidentität, um das sich nun die Frage der Menschenrechte dreht. Außerdem wenden die rechten Bewegungen aus westlichen Staaten ihre Aufmerksamkeit immer mehr anderen Staaten zu, wo schwulenfeindliche Einstellungen noch stärker sind.

Die Faktenkapitel wechseln sich mit persönlichen Geschichten von schwulen, lesbischen, inter und trans Protagonisten ab. Darin erzählt Gevisser in der Art eines ausführlichen Portraits oder einer journalistischen Reportage

Von Florian Birnmeyer

Mit Bezug auf Viktor Orbáns Ungarn hat sich in den letzten Wochen eine Debatte entsponnen, in deren Zentrum die Rechte von LGBT-Menschen stehen. Mark Gevisser, der Autor des Sachbuchs „Die pinke Linie“, würde diesen Kulturkampf zwischen fortschrittlichen und konservativen Kräften, in dem es um die Rechte queerer Menschen geht, als eine pinke Linie bezeichnen, die durch Europa, aber auch durch das Land Ungarn selbst verläuft. Solchen pinken Linien spürt Gevisser in seinem Buch mit viel Detailliebe und Sachverstand nach.

Er rückt damit die Kämpfe von schwulen, lesbischen und trans Menschen auf der ganzen Welt ins Zentrum der Aufmerksamkeit – ein legitimes und überfälliges Anliegen, das mit diesem Autor den idealen Paten gefunden hat. Gevisser lebt mit seinem Mann in Südafrika, das als erstes afrikanisches Land 2006 die gleichgeschlechtliche Ehe einführte. Doch wie man gleich zu Beginn des Sachbuchs erfährt, verläuft zu dem weiter nördlich gelegenen Land Malawi eine der zahlreichen Konflikt- und Trennlinien, die Gevisser im Laufe seines Textes aufspürt und mit viel Gespür für Details analysiert.

Die titelgebenden pinken Linien sind Grenzlinien, denen Gevisser nachgeht und die entweder innerhalb eines Landes verlaufen oder zwischen verschiedenen Ländern auf einem Kontinent. Sie trennen Erlaubtes und Unerlaubtes, Gesellschaften, in denen queeres Leben und Menschenrechte für queere Menschen selbstverständlich geworden und akzeptiert worden ist, von solchen, in denen homosexuelle, bisexuelle, intersexuelle und transidente Menschen bis heute aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, ausgeschlossen werden oder gar kriminalisiert und im schlimmsten Falle bestraft werden.

Gevisser ist einmal um den gesamten Globus gereist, um solche Grenzziehungen für seine Leserinnen und Leser sichtbar, erkennbar und nachvollziehbar zu machen. Die Reisen, die den Autor zwischen 2012 und 2018 in die ganze Welt führten, mündeten in ein 600-seitiges Kompendium über queeres Leben in Uganda, Kenia, Mexiko, Argentinien, Russland, Israel, der Türkei, Ägypten, Thailand, Indonesien und Indien. Das Buch ist allerdings weniger, als es dies nun womöglich zu sein scheint, eine Reisereportage (obwohl dieser Aspekt auch hineinspielt) und besteht vielmehr aus dem Wechsel von 16 sich aneinanderreihenden Fakten- und Portrait- bzw. Reportagekapiteln.

In den Faktenkapiteln geht es ausschließlich um das Vermitteln einer spezifischen „pinken Linie“ bzw. eines bestimmten Aspekts des Kulturkampfs um geschlechtliche und sexuelle Freiheit für LGBT-Personen, wobei sich herauskristallisiert, dass sich der Fokus im 21. Jahrhundert zunehmend vom Kampf für Homosexuellenrechte oder die Ehe auf das nunmehr stark umkämpfte Schlachtfeld der Geschlechterfreiheit und Transrechte verlagert hat. Es wird im Laufe des Buches auch klar, dass die pinken Linien sich in unterschiedlichen Gesellschaften, je nachdem wie weit sie sich im Kampf um Menschenrechte bereits vorwärts bewegt haben, in unterschiedlichen Stadien befinden – und selbst in geographisch relativ nah beieinander liegenden Staaten wie einigen afrikanischen Staaten und Südafrika der Stand sehr unterschiedlich sein kann.

Gevisser geht es darum, in seinen Faktenkapiteln einen Kulturkampf oder Culture War zu beschreiben, der sich rund um das Thema LGBTIQ-Personen abspielt. Es gibt rechte (christliche oder konservative) Gruppen, denen daran gelegen ist, in westlichen Gesellschaften eine Gegenbewegung in der Gesellschaft durchzusetzen und Stimmung gegen die Rechte von queeren Menschen insgesamt, vor allem aber von inter und trans Menschen zu machen. Der Begriff „culture war“ wurde in den USA geprägt, um eine Spaltung der Nation in Bezug auf moralische Fragen zum Ausdruck zu bringen, die von der Republikanischen Partei betrieben wurde, um Wähler zu mobilisieren. Gevisser greift außerdem auf den Begriff der „moralischen Panik“ zurück, die von bestimmten Gruppen bewusst und zielgerichtet in Gesellschaften mithilfe von Medien, Demonstrationen und auch Fehlinformationen ausgelöst wird, um eine politische Agenda gegen LGBTIQ-Personen durchzusetzen.

Ein Beispiel für diese rechte Bewegung sind die „Demos für alle“ („Manifs pour tous“) in Frankreich, die auch nach Deutschland kamen, als es um die Eherechte schwuler und lesbischer Menschen ging. Da in vielen westlichen Gesellschaften Homosexuellen-Rechte inzwischen weitgehend konsolidiert sind, sieht Gevisser vor allem einen „Transgender-Culture-War“ am Werk und zieht eine neu aufgekommene pinke Linie rund um das Thema Geschlechtsidentität, um das sich nun die Frage der Menschenrechte dreht. Außerdem wenden die rechten Bewegungen aus westlichen Staaten ihre Aufmerksamkeit immer mehr anderen Staaten zu, wo schwulenfeindliche Einstellungen noch stärker sind.

Die Faktenkapitel wechseln sich mit persönlichen Geschichten von schwulen, lesbischen, inter und trans Protagonisten ab. Darin erzählt Gevisser in der Art eines ausführlichen Portraits oder einer journalistischen Reportage mit viel Feingefühl, Fakten- und Ortskenntnis jeweils die Geschichte von ein oder zwei Personen. Es werden dabei wirklich fast alle Lettern des Akronyms LGBTIQ ausbuchstabiert, sodass Gevisser eine queere Gesamtschau geschaffen hat, die einem das Gefühl gibt, man befinde sich in einem sehr fortschrittlichen, akzeptierenden Umfeld, in dem jeder so sein kann, wie er möchte.

Eine interessante Erkenntnis des Buches betrifft das Thema Geschlecht und LGBT-Bewegung: Denn in manchen asiatischen Staaten existierte traditionell eine gesellschaftliche Kategorie und Bezeichnung für Menschen, die einem dritten Geschlecht angehören, also weder männlich noch weiblich sind: Auf den Philippinen werden diese Personen „bakla“ genannt, sie hätten demnach „pusong babae“, das Herz einer Frau, und in Südindien gibt es die Kategorie „kothi“. Allerdings entstand im Zuge der internationalen LGBT-Bewegung teilweise der Druck, dass sich diese Menschen in eine der Kategorien einordnen, die zum Label LGBT passt, also sich zum Beispiel als trans-Frauen identifizieren, um die vollen Rechte einer Frau in der Gesellschaft zu genießen.

Nicht besonders überzeugend sind die Argumente, mit denen immer wieder gegen die Entkriminalisierung von Homosexualität bzw. homosexuellen Handlungen argumentiert wird – denn es fällt auf, dass sich sowohl innerhalb Afrikas als auch in Asien und Russland einige Argumentationsmuster ändern: Da wäre einerseits das Argument, dass Homosexualität eine westliche Erfindung oder Perversion sei, die wie einst der Kolonialismus nun neokolonialistisch über die unabhängigen Staaten gebracht werden solle, die sich doch nicht umsonst vom Kolonialismus befreit haben. Dabei sind die Schwulenparagraphen meist Relikte aus der Gesetzgebung, die die Kolonialherren einst eingeführt haben – eine verquere Verdrehung der Geschichte.
Ein weiteres Argument behauptet, dass Schwule z. B. in afrikanischen Staaten von Menschen im Westen finanziert werden, damit sie einen schwulen Lebensstil führen, als ob es sich um eine Frage der Wahl handeln würde. Bestätigt wird diese Ansicht teilweise dadurch, dass manche Homosexuelle in afrikanischen Staaten tatsächlich auf den guten Willen und das Portemonnaie von Gönnern angewiesen sind, da sie in ihrer Heimat sozial ausgegrenzt werden und daher nur schwer Arbeit finden.

„Die pinke Linie“ ist ein Sachbuch, das ohne Unterlass Orts-, Menschen- und Faktenkenntnis im Übermaß beweist – und einen manchmal aus diesem Grund sehr fordert, sodass man es auf keinen Fall in einem Zug lesen kann. Doch nach der Lektüre dieses Schmökers zum Thema LGBTIQ-Rechte und -Kämpfe hat man nicht nur die intensive Bekanntschaft mit einigen fast immer sympathischen Protagonistinnen und Protagonisten gemacht, sondern ist auch auf dem neuesten Stand, was die Gesetzes- und Faktenlage zum Thema Sexualität und Geschlecht in zahlreichen Staaten der Welt angeht. Denn Gevisser zeichnet in der Tat ein internationales Bild und lässt kaum einen Kontinent bei seinem umfassenden Gesamttableau aus, ein Bild, das in seiner Fülle noch lange nachhallt.

mit viel Feingefühl, Fakten- und Ortskenntnis jeweils die Geschichte von ein oder zwei Personen. Es werden dabei wirklich fast alle Lettern des Akronyms LGBTIQ ausbuchstabiert, sodass Gevisser eine queere Gesamtschau geschaffen hat, die einem das Gefühl gibt, man befinde sich in einem sehr fortschrittlichen, akzeptierenden Umfeld, in dem jeder so sein kann, wie er möchte.

Eine interessante Erkenntnis des Buches betrifft das Thema Geschlecht und LGBT-Bewegung: Denn in manchen asiatischen Staaten existierte traditionell eine gesellschaftliche Kategorie und Bezeichnung für Menschen, die einem dritten Geschlecht angehören, also weder männlich noch weiblich sind: Auf den Philippinen werden diese Personen „bakla“ genannt, sie hätten demnach „pusong babae“, das Herz einer Frau, und in Südindien gibt es die Kategorie „kothi“. Allerdings entstand im Zuge der internationalen LGBT-Bewegung teilweise der Druck, dass sich diese Menschen in eine der Kategorien einordnen, die zum Label LGBT passt, also sich zum Beispiel als trans-Frauen identifizieren, um die vollen Rechte einer Frau in der Gesellschaft zu genießen.

Nicht besonders überzeugend sind die Argumente, mit denen immer wieder gegen die Entkriminalisierung von Homosexualität bzw. homosexuellen Handlungen argumentiert wird – denn es fällt auf, dass sich sowohl innerhalb Afrikas als auch in Asien und Russland einige Argumentationsmuster ändern: Da wäre einerseits das Argument, dass Homosexualität eine westliche Erfindung oder Perversion sei, die wie einst der Kolonialismus nun neokolonialistisch über die unabhängigen Staaten gebracht werden solle, die sich doch nicht umsonst vom Kolonialismus befreit haben. Dabei sind die Schwulenparagraphen meist Relikte aus der Gesetzgebung, die die Kolonialherren einst eingeführt haben – eine verquere Verdrehung der Geschichte.
Ein weiteres Argument behauptet, dass Schwule z. B. in afrikanischen Staaten von Menschen im Westen finanziert werden, damit sie einen schwulen Lebensstil führen, als ob es sich um eine Frage der Wahl handeln würde. Bestätigt wird diese Ansicht teilweise dadurch, dass manche Homosexuelle in afrikanischen Staaten tatsächlich auf den guten Willen und das Portemonnaie von Gönnern angewiesen sind, da sie in ihrer Heimat sozial ausgegrenzt werden und daher nur schwer Arbeit finden.

„Die pinke Linie“ ist ein Sachbuch, das ohne Unterlass Orts-, Menschen- und Faktenkenntnis im Übermaß beweist – und einen manchmal aus diesem Grund sehr fordert, sodass man es auf keinen Fall in einem Zug lesen kann. Doch nach der Lektüre dieses Schmökers zum Thema LGBTIQ-Rechte und -Kämpfe hat man nicht nur die intensive Bekanntschaft mit einigen fast immer sympathischen Protagonistinnen und Protagonisten gemacht, sondern ist auch auf dem neuesten Stand, was die Gesetzes- und Faktenlage zum Thema Sexualität und Geschlecht in zahlreichen Staaten der Welt angeht. Denn Gevisser zeichnet in der Tat ein internationales Bild und lässt kaum einen Kontinent bei seinem umfassenden Gesamttableau aus, ein Bild, das in seiner Fülle noch lange nachhallt.

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