„Brüderchen“ von Clara Dupont-Monod

Ein Kind kommt auf die Welt – an sich nichts Ungewöhnliches, doch was geschieht, wenn dieses Kind krank, ja sogar schwer behindert ist, nicht sprechen und nicht sehen kann und auch in den eigenen Bewegungen stark eingeschränkt ist? Clara Dupont-Monod wirft in ihrem Roman „Brüderchen“ (frz. „S’adapter“) einen präzisen, humanen und feinfühligen, nie jedoch despektierlichen Blick darauf, was mit einer Familie geschieht, wenn ein Kind mit Beeinträchtigung das fein austarierte Beziehungsgeflecht, das eine Familie bildet, durcheinanderwirbelt.

„„Brüderchen“ von Clara Dupont-Monod“ weiterlesen

„Vernon Subutex“ von Virginie Despentes und Luz

In einem opulenten Comic-Band illustriert der Charlie-Hebdo-Zeichner Luz die Geschichte von Vernon Subutex, die bereits als Roman-Trilogie ein Erfolg war. Die Graphic Novel über einen im Leben scheiternden Plattenverkäufer, der für die Musik lebte und am Neoliberalismus zerbricht, erscheint in zwei Teilen, wobei jeder Teil 300 Seiten umfasst.

„„Vernon Subutex“ von Virginie Despentes und Luz“ weiterlesen

„Im Herzen eines goldenen Sommers“ von Anne Serre

Anne Serre hat für „Im Herzen eines goldenen Sommers“ (frz. „Au cœur d’un été tout en or“) den Prix Goncourt 2020 de la Nouvelle erhalten. Die Kurzgeschichtensammlung ist eine vielseitige Sammlung von Identitäten, wobei wir in jeder der zwei- bis vierseitigen Geschichten eine neue Person kennenlernen.

„„Im Herzen eines goldenen Sommers“ von Anne Serre“ weiterlesen

„V13“ von Emmanuel Carrère

Ein Roman über den Prozess zu den Attentaten des 13. Novembers: Was zunächst nach einer langatmigen Lektüre klingt, macht Emmanuel Carrère, der bereits mit anderen Werken als versierter Autor hervortrat, zu einer gleichermaßen berührenden wie lehrreichen Lektüre, die man nicht mehr so schnell vergessen wird.

„„V13“ von Emmanuel Carrère“ weiterlesen

„Vivre vite“ von Brigitte Giraud

Für den Roman „Vivre vite“ wurde Brigitte Giraud mit dem Prix Goncourt 2022 ausgezeichnet. Sie begibt sich darin auf eine Zeitreise 20 Jahre zurück, um jenem tragischen Tag auf den Grund zu gehen, an dem ihr Mann durch einen Motorradunfall verstarb. Jener 22. Juni 1999 wird von allen Seiten und unter Berücksichtigung jeder denkbaren Hypothese ausgeleuchtet. Ein reizvolles und ungewöhnliches Gedankenexperiment beginnt.

„„Vivre vite“ von Brigitte Giraud“ weiterlesen

„Blutbuch“ von Kim de l’Horizon

„Blutbuch“ hat dieses Jahr den Deutschen Buchpreis gewonnen und wurde gefeiert, weil es das Thema Non-Binarität, welches bisher in der deutschsprachigen Literatur nicht ausreichend Beachtung fand, auf eine sprachlich und künstlerisch innovative Weise behandelt. Beide Aspekte habe ich an „Blutbuch“ geschätzt, und doch muss ich im Rückblick sagen, dass ich mich mit dem Roman von Kim de l’Horizon auch schwergetan habe.

Eben weil der Gewinner des Deutschen Buchpreises kein klassischer Roman ist, keiner linearen Erzählstruktur folgt, habe ich mich entschieden, dass auch ich aus dem Raster der klassischen Rezension ausbrechen möchte und stattdessen eine Auflistung von positiven und negativen Seiten gegenüberstellen möchte, die dem Buch hoffentlich gerechter wird als eine reine Inhaltszusammenfassung mit anschließender Meinung/Kritik.

„„Blutbuch“ von Kim de l’Horizon“ weiterlesen

„Le jeune homme“ von Annie Ernaux

Der Kurzroman „Le jeune homme“ ist das aktuelle Werk der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux, das bisher nur auf Französisch erschienen ist. Am 16. Januar 2023 wird das dann 48-seitige Buch unter dem Titel „Der junge Mann“ bei Suhrkamp, dem deutschen Hausverlag von Ernaux, auch auf Deutsch erscheinen. Ich rezensiere hier die französische Version des Textes.

Ernaux beschreibt sich als „Ethnographin ihrer selbst“, diese Bezeichnung hat sie sich selbst in ihren vergangenen Werken wie „Die Jahre“ (frz. „Les années“), „Die Scham“ („La honte“) etc. bereits erarbeitet. Ein Kennzeichen von Ernaux‘ Schreibstil ist es, dass sie persönliche Erinnerungen mit politisch-sozialen Ereignissen verbindet und in den persönlichen Erinnerungen an die eigene soziale Herkunft und den eigenen sozialen Aufstieg etwas Allgemeingültiges sucht.

„„Le jeune homme“ von Annie Ernaux“ weiterlesen

„Anleitung, ein anderer zu werden“ von Édouard Louis

„Anleitung, ein anderer zu werden“ (frz. „Changer: méthode“) ist das neueste ins Deutsche übersetzte Werk von Édouard Louis, das ich sehr gern und mit großer Aufmerksamkeit gelesen habe, da ich mich in Teilen darin wiedererkennen konnte. Denn Louis erzählt darin die Geschichte einer Flucht vor seiner eigenen Herkunft, in seinem Fall insbesondere vor seiner niedrigen sozialen Herkunft im benachteiligten Norden Frankreichs.

Wie in seinem Erstlingswerk „Das Ende von Eddy“ („En finir avec Eddy Bellegueule“) handelt es sich um ein Werk zwischen Autofiktion und Autobiographie, das mit den Genregrenzen spielt, und um ein Werk der Selbst(er)findung. Louis beschäftigt sich mit seiner Kindheit, Jugend, Familie, seiner Ausbildung zum Akademiker und Intellektuellen, seiner Homosexualität, aber auch, wie immer, mit sozialer Klasse, sozialer Gewalt, Beleidigungen und Homosexualität.

„„Anleitung, ein anderer zu werden“ von Édouard Louis“ weiterlesen

„Bouvard und Pécuchet“ von Gustave Flaubert

In dem Klassiker „Bouvard und Pécuchet“ machen sich zwei Biedermänner und Kopisten aus Paris, ausgestattet mit einem Erbe, in die Normandie auf und beginnen dort, zahlreiche Bereiche des Wissens zu erkunden, um so ihre Zeit auszufüllen, doch sie scheitern nach und nach kläglich, verlieren die Lust oder das Interesse. Flaubert soll zur Vorbereitung auf dieses Opus magnum, an dem er ab 1863 arbeitete, ehe er 1874 mit dem Schreiben begann, über 1000 Bücher gelesen haben.

„„Bouvard und Pécuchet“ von Gustave Flaubert“ weiterlesen

„Abschied ohne Ende“ von Wolfgang Hermann

Der österreichische Schriftsteller Wolfgang Hermann hat mit „Abschied ohne Ende“ einen Roman über den Tod seines 17-jährigen Sohnes geschrieben. In lyrischer Sprache und nahegehender Weise verarbeitet der Erzähler das Unvorstellbare und schafft damit in der Literatur einen zeitlosen Raum für das, wofür man sonst nur schwer Worte findet.

„„Abschied ohne Ende“ von Wolfgang Hermann“ weiterlesen