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„Un garçon d’Italie“ von Philippe Besson

In „Un garçon d’Italie“ geht es um einen Toten, der nachts mitten in Florenz ertrunken im Fluss Arno gefunden wird. Es ist ein Krimi des vielschreibenden französischen Schriftstellers Philippe Besson aus dem Jahr 2003, erzählt aus drei verschiedenen Sichtweisen, darunter auch die des toten Luca, seiner Partnerin und seines männlichen Geliebten, eines Prostituierten. Leider hat der Roman aus Florenz auch ein paar wenige Schwächen.

Warum sollte man dieses Buch aus dem Jahr 2003 heute 20, fast 21 Jahre später lesen? Da wäre zunächst die Erzählperspektive, die auf drei verschiedene Personen aufgesplittet ist: Abwechselnd erzählen nach dem Tod Lucas drei Personen, zwei junge Männer (Luca, Leo) und eine Frau (Anna) den Hergang der Handlung, die mit dem nächtlichen Ertrinken Lucas im Fluss Arno einsetzt. Wir erleben die Zeit nach dem Tod Lucas, die für Anna, seine Partnerin, mit einer Krise verbunden ist. Aber auch sein heimlicher Geliebter Leo verliert eine wichtige Bezugsperson, ohne dass er mit irgendjemandem darüber reden kann.

Ein Vorzug dieses Buches besteht darin, dass er wie einige andere Romane Bessons auch das Thema „heimliche bzw. versteckte Homosexualität“ thematisiert. Wie manch anderer auch lebte Luca seine Liebe oder Liebschaft (es war irgendwas dazwischen) mit dem jungen Prostituierten im Geheimen. Wie man sich denken kann, durfte seine offizielle Partnerin Anna davon nie etwas erfahren.

Auch in Bessons bekanntestem und auch auf Deutsch erhältlichem Buch „Hör auf zu lügen“ und in den autobiographischen Fortsetzungen („Un certain Paul Darrigrand“, „Un dîner à Montréal“) geht es um das Thema einer heimlichen Liebe zwischen zwei Männern, wobei stets auch eine Frau eine Rolle spielt. Besson scheint selbst einmal Teil einer solchen Dreierbeziehung gewesen zu sein und diese Geschichte in verschiedener Form immer wieder als Grundlage seiner Bücher zu verwenden. Das ist kein Minuspunkt, ist es doch noch heute in manchen Kreisen und Milieus tabu, eine Beziehung zu einem Mann zu führen, wo die Gesellschaft eigentlich schon weiter ist.

Doch zurück zur Romanhandlung: Ein Kommissar nimmt sich des Todes von Luca an. War der Tod ein natürlicher oder handelte es sich um einen Suizid oder gar Mord? Während Anna in den Sachen ihres toten Freundes stöbert, stößt sie auf den Namen Leo Bertina, der ihr zunächst nichts sagt. Doch schnell wird ihr klar, dass dieser Name für die Ermittlungen relevant ist und sie informiert den Kommissar. Hier ist auch schon der nächste Kritikpunkt: Die Dialoge zwischen dem Kommissar und den Befragten, sei es Leo oder Anna, sind leider überhaupt nicht glaubhaft.

Wenn der Kommissar sich mit den Befragten unterhält, was im Laufe des Buches häufiger vorkommt, erhält die Figur des Ermittlers keinerlei Kontur. Stattdessen ist er ein farbloser Detektivdarsteller, der seinen Gegenübern Ermittlungsdetails verrät und Geheimnisse über andere Befragte preisgibt, die er für sich behalten müsste, wenn er sich nicht angreifbar machen will. Was ist das für ein Kommissar, der sich nicht selbst an die Regeln des Ermittelns hält? Oder musste Besson dem Kommissar eine solche Rolle zuteilen, damit die Handlung schnell genug vorankam? Mir kam das jedenfalls nicht im Geringsten glaubhaft vor, eher an den Haaren herbeigezogen.

Mein größter Kritikpunkt an dem Buch ist deshalb, dass die Perspektiven zwar gut angelegt sind, dass die Handlung an sich gut ausgedacht und konstruiert ist, doch dass die Kriminalgeschichte große Schwächen aufweist. Ein Krimi-Fan oder jemand, der sich mit der Materie auskennt, wird hier zwei oder drei Augen zudrücken müssen, um nicht enttäuscht zu werden. Auch die Auflösung, wie der mit Schlafmitteln betäubte Luca letztlich im Arno ertrunken ist, hat mich nicht so richtig befriedigt. Am Ende ist nämlich niemand schuld, und alle haben sich aus der Affäre gezogen, selbst der Kommissar.

Wen das nicht stört, der kann mit „Un garçon d’Italie“ ein solides Buch über einen Todesfall mitten in Florenz lesen, mit etwas Lokalkolorit, wenn die Italiensehnsucht gerade wieder zuschlägt.

Bewertung: 2,5/5

Philippe Besson (2003): Un garçon d’Italie. Julliard. 9,90 €.

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