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„Un certain Paul Darrigrand“ von Philippe Besson

Philippe Besson ist in Frankreich ein Erfolgsschriftsteller, der in einem Rekordtempo Bücher veröffentlicht, jedes Jahr eines. „Un certain Paul Darrigrand“ ist das zweite Werk seiner autobiographischen Trilogie, die mit „Hör auf zu lügen“ (frz. „Arrête avec tes mensonges“) ihren Anfang nahm. Der schwule Autor Besson behandelt darin seine ersten beiden Beziehungen in den 70er und 80er Jahren, die eher im Verborgenen stattfinden mussten – ein persönlicher und zeitgeschichtlich eingebetteter Blick auf homosexuelle Geschichte.

Man mag von Philippe Besson halten, was man möchte, er versteht sein Handwerk, versteht, sich zu verkaufen, versteht, seine Bücher so zu schreiben, dass sie ein breites Publikum erreichen. Ist das ein Qualitätsmerkmal oder schreckt es einen eher ab? Ich hatte anfangs ein eher gespanntes Verhältnis zu dem Vielschreiber, Bestsellerautor, Schönling und Publikumsliebling Besson, der seine Bücher in einer Sprache und auf eine Weise verfasst, die nicht aneckt, die niemanden stört, die keine Ambiguitäten zulässt und so auch nicht die Ambition hat, große Literatur zu erschaffen.

Vielmehr handelt es sich bei Philippe Bessons Werken um Literatur, die man liest, um mit einer handwerklich guten Geschichte unterhalten zu werden, wobei man dem Autor zugute halten muss, dass seine Geschichten nicht seicht oder flach, sondern tiefsinnig und hintergründig sind, zumindest in dem Maße, dass es nicht zu anspruchsvoll wird, als dass das breite Publikum nicht mehr folgen würde. Besson greift Themen auf, die andere Bestsellerautor/innen nicht in den Vordergrund rücken: Homosexualität, Krankheit, Einsamkeit, Betrug, Ausgrenzung etc.

Auch wenn Besson das, was er sagt, häufig mit zu dicken Pinselstrichen ausdrückt, sodass es garantiert jede/r versteht, ist es doch wichtig, dass jemand solche Themen literarisch behandelt werden, und zwar so, dass sie für ein breites Publikum lesbar werden. Schwule, lesbische, queere Themen haben in der Gegenwartsliteratur die Nische verlassen, und das ist gut so. Dazu haben auch Autoren wie Philippe Besson beigetragen, die diese Themen auf eine publikumswirksame Weise in die Öffentlichkeit getragen haben, aber natürlich auch Leute, die immer wieder dafür gekämpft haben, dass Sichtbarkeit für queere Themen geschaffen wird, bei CSDs, im öffentlichen Raum, in der Presse, im Internet etc.

Während manche Leute mit ihrer Art bewusst nicht anecken wollen, gibt es andere, die kämpferischer und unnachgiebiger auftreten – und so neue Räume und Rechte für Minderheiten erobern. Doch nun zurück zum eigentlichen Thema und zurück zu Paul Darrigrand, denn das ist das Thema des Buches, um das es geht. Philippe Besson schreibt über seine Erinnerungen an diesen jungen Mann, die wieder hochkommen, als er bei einem Umzug ein Foto findet, das ihn selbst zusammen mit Paul Darrigrand zeigt. Die beiden haben sich zu Beginn ihres gemeinsamen Studiums kennengelernt und kamen sich in den Kursen und zusammen mit Freunden näher, sodass sich ein zunächst freundschaftliches, dann amouröses Liebesverhältnis entspann.

Doch diese Liebe sollte und durfte eigentlich nicht existieren, da sich Philippe zeitgleich in einer festen Beziehung mit einer Frau befindet. Es sind die 80er Jahre, und schwul zu sein oder bisexuell zu sein, heißt, sich zu verstecken, zumal wenn man eine Affäre mit einem Mann beginnt, der im Grunde vergeben ist. So beginnt der Autor, der in der Ich-Perspektive erzählt, aber hier eine fiktionalisierte Version seiner Autobiographie erzählt, erneut ein Versteckspiel, nachdem er bereits mit dem jungen Mann aus „Hör auf zu lügen“ eine geheime Beziehung führen musste, da niemand aus dessen Familie wissen durfte, dass er eigentlich schwul war und von Männern angezogen wurde.

„Un certain Paul Darrigrand“ ist in vielerlei Hinsicht eine würdige Fortsetzung von „Hör auf zu lügen“, erreicht aber nicht ganz dessen Niveau und erzählerische Intensität. Die Erzählung nimmt einen weniger mit, da sie weniger dicht, weniger mitreißend ist. In „Paul Darrigrand“ kommt noch eine weitere Erzählebene hinzu, denn der Erzähler wird im Laufe der Geschichte krank. Diese Krankheit, ein Mangel an Blutbpättchen (Fachbegriff: Thrombozytopenie), nimmt einen großen Raum im zweiten Teil des Buches ein, sodass man miterlebt, wie der Erzähler die Diagnose für die Krankheit erhält, im Krankenhaus behandelt wird und schließlich operiert wird, um den Mangel zu unterbinden.

Zunächst steht natürlich angesichts des Mangels an Blutplättchen die große Sorge im Raum, es könnte sich um eine Krankheit handeln, die in den 80er Jahren jeden umtrieb, der mit anderen Männer Sex hatte: AIDS. Es bleibt – wie oft bei HIV – zunächst ungesagt, doch es schwingt immer mit, dass der Erzähler sich infiziert haben könnte, und er hat diese Befürchtung von Beginn an, als er erfährt, dass etwas mit seinem Blutbild nicht in Ordnung ist. Die große Angst bestätigt sich zum Glück nicht, und doch muss der Erzähler ein langes medizinisches Prozedere aus Untersuchungen, Diagnosen und Behandlungen über sich ergehen lassen, ehe er wieder aus der Obhut der Ärzte entlassen wird.

Wer sich für „Un certain Paul Darrigrand“ entscheidet, entscheidet sich für ein Buch über eine Liebe im jungen Erwachsenenalter und über eine Erkrankung, die diese Liebe in neuem Licht erscheinen lässt. Ob Paul Darrigrand sich letztlich für die Vernunft oder die Liebe entschieden hat, soll jede/r selbst nachlesen. Die Krankheit jedenfalls konnte geheilt werden, und der Erzähler bzw. Autor lebt heute trotz Blutplättchenmangel ein normales Leben. Auch in anderen Büchern wie „Son frère“ (dt. „Sein Bruder“, dtv Verlag) spielt das Thema Krankheit eine Rolle. Dort ist einer von zwei Brüdern von einer tödlichen Krankheit betroffen, doch in diesem Fall nicht der homosexuelle, sondern der erfolgreiche heterosexuelle Bruder.

Die Themen, man merkt es, kehren bei Philippe Besson immer wieder. Etwas sonderbar und eigenwillig finde ich es, dass Besson in der Erzählung selbst auf seine anderen Bücher verweist, so wie wenn ein Professor oder Lehrer die Studenten auf die von ihm selbst verfassten Lehrwerke verweist, um zum Kauf anzuregen. Man sollte das einfach nicht tun, auch wenn das vielleicht geschicktes Marketing ist. Es gehört sich nicht und stört den Lesefluss. Mich jedenfalls hat es gestört und genervt.

Trotz allem, trotz der geschickten Vermarktung und der erfolgreichen Verkäufe der Bücher Philippe Bessons kann ich „Un certain Paul Darrigrand“ als eine Fortsetzung von „Hör auf zu lügen“ empfehlen. Es ist eine unaufgeregte Erzählung über eine homosexuelle Liebe in den 80er Jahren, der etwas mehr Ambiguität und Uneindeutigkeit gut getan hätte. An „Hör auf zu lügen“ reicht das Buch nicht ganz heran.

Das Werk ist bisher nur auf Französisch erschienen.

Bewertung: ⭐⭐⭐⭐ 3,5/5

Philippe Besson: Un certain Paul Darrigrand. Éditions Julliard. 7 €.

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