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„Eine Liebe in Pjöngjang“ von Andreas Stichmann

Nordkorea ist die letzte Diktatur, die sich vor Einflüssen von außen abschirmt, auch wenn westliche Touristen geduldet werden. Reist man als Tourist in dieses Land, bekommt man nur das zu sehen, was man auch sehen darf und wird von einem Touristenführer oder einer Touristenführerin begleitet. Der mehrfach preisgekrönte Autor Andreas Stichmann reiste 2017 in das Land und machte aus dieser Reise nicht etwa ein Sachbuch oder eine Reisereportage, sondern einen lesenswerten Roman über zwei ungleiche Frauen, die für einen Augenblick in Berührung treten. Bereits mit „Das große Leuchten“ legte Stichmann einen Roman über eine Reise vor, damals über den Iran.

Im Mittelpunkt des Romans steht zunächst die deutsche Kulturattachée Claudia Aebischer, die an der Spitze einer Delegation junger Journalisten und Journalistinnen nach Nordkorea reist, nämlich ein allerletztes Mal, wie nur sie selbst bereits zu Beginn der Reise weiß. Die 50-Jährige erzählt niemandem davon, dass sie ihr Amt nach der Erfüllung dieser letzten Pflicht, nämlich der Rundreise mit den Journalist*innen und der Eröffnung einer Deutschen Bibliothek in Pjöngjang, aufgeben möchte, da sie erschöpft ist.

Sie möchte in ihrem Alter noch einmal neu starten, vielleicht ein Buch schreiben, jenes Buch, das sie im Grunde bereits seit Jahren schreiben wollte und immer wieder aufgeschoben hat. In dieser Phase der Krise lernt Claudia Aebischer die Touristenführerin Sunmi kennen: Diese Begegnung wird zu einer Art Schlüsselereignis, denn danach ist nichts mehr so wie vorher, kein Stein mehr auf dem anderen.

Claudia Aebischer ist überwältigt von dieser Frau, die mehrere Sprachen spricht, Germanistik studiert hat, einen nordkoreanischen Doktortitel besitzt und sich mit der deutschen Romantik beschäftigt. Außerdem fasziniert es sie, wie Sunmi die deutsche Sprache gebraucht, z. B. indem sie Wörter wie „sintemal“ oder „darob“ in ihre alltägliche Sprache einfließen lässt, als wären diese noch immer gebräuchlich. Dazu kommt die Anmut, die Jugend, die Sanftheit, die leise Art dieser jungen Frau, die mit ihrem – wesentlich älteren – ehemaligen Dozenten Wi verheiratet ist.

Leise bahnt sich zwischen den beiden Frauen etwas an. Man weiß zunächst nicht: Wird aus diesem Verhältnis mehr oder ist das nur ein leises Knistern? Ist diese Beziehung zum Scheitern verurteilt? Wie wird Wi reagieren? Ist diese Beziehung vielleicht nur inszeniert, um Claudia Aebischer zugunsten der nordkoreanischen Interessen zu manipulieren? Schließlich soll sie, um Nordkorea zu dienen, einen Vortrag über die Vorteile des Landes halten… Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen: Gefühle stellen sich sowohl bei Claudia Aebischer als auch bei Sunmi ein, doch politische und persönliche Interessen spielen mit herein.

Andreas Stichmann schafft es, die Leser*innen mit seinen knappen, klaren und manchmal auf wenige Wörter verkürzten Sätzen zu fesseln. Er tut dies, indem er die leisen Töne anschlägt, indem er scharf beobachtet und eine reizvolle Liebesgeschichte entwickelt, die ihren Reiz daraus bezieht, dass sie letztlich keine klassische Liebesgeschichte ist, wie man sie aus amerikanischen Filmen und romantischen Büchern kennt. Vielmehr vertraut Stichmann darauf, dass sich im Kopf der Leser*innen Spannung aufbaut, wenn Claudia und Sunmi zwischen Anziehung und Distanz schwanken, ihr Verhältnis zueinander ausloten und mit Berührungen, Gesten, Worten probeweise spielen, um Herrn Wi und den Machtapparat, der im Hintergrund immer spionieren könnte, nicht zu verschrecken.

Dieses Buch ist ein ehrlicher und zugleich ein fiktiver Reiseroman aus Nordkorea, dem man anmerkt, dass der Autor dem Land nicht schaden möchte. Er möchte das Land darstellen, wie es ist – oder wie es in seiner Vorstellung sein könnte. Es werden Klischees westlicher Reportagen über Nordkorea entlarvt, zum Beispiel, dass stets erwähnt werden muss, dass die westlichen Gäste im Hotel vom obersten Stock aus, zu dem sie keinen Zugang haben und zu dem auch der Aufzug nicht führt, ausspioniert werden. Auch die Armut und das Elend wird bei Stichmann nicht ausgespart, genauso wenig wie der absurde Führerkult und die Tendenz der Nordkoreaner, alles unter Kontrolle halten zu wollen, und den Menschen, dem Regime unterzuordnen.

Stichmann beschönigt nicht, aber er färbt auch nicht alles schwarz. Er stellt das Leben in einer Diktatur als ein alltägliches Leben dar, als ein Leben, das gelebt werden muss, weil man keine andere Wahl hat, als dieses eine Leben zu leben. „Eine Liebe in Pjöngjang“ ist ein spannender Roman auf leisen Pfoten, der die Leser*innen in eine andere Welt entführt, von wo aus sie nach der Lektüre verändert zurückkehren. Und so soll gute Literatur doch sein.

Bewertung: ⭐⭐⭐⭐⭐ 5/5

Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang. Rowohlt Verlag.
ISBN 3498002937. 20 €.

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