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„Bel-Ami“ – eine Liebeserklärung an Maupassants großen Roman (Gastbeitrag von Arne Ulbricht)

Maupassants umfangreichster Roman „Bel-Ami“ erschien im Frühjahr 1885. Zuerst, wie damals üblich, als Fortsetzungsroman in einer Zeitung. (Im Gil Blas, wo kurz zuvor Zolas epochaler Roman „Germinal“ veröffentlicht worden war und auch immer wieder Maupassants Kolumnen und Novellen publiziert wurden.) Dann gedruckt als Buch. Ein Gastbeitrag von Arne Ulbricht.

Worum geht es in diesem Meisterwerk, das nicht zu altern scheint? Letztendlich um einen Emporkömmling, der derart auf Frauen wirkt, dass sie ihm eine nach der anderen verfallen. Nicht nur die älteren Damen der Gesellschaft, sondern auch deren Töchter. Er steigt dank der Frauen auf und wird, der Spitzname wird ihm von einem Mädchen verliehen, Bel-Ami genannt. Zwar ist es ein Mann, ein alter Weggefährte und Kamerad, der den Kontakt zum Verleger der Zeitung „La Vie française“ herstellt. Aber es ist dessen Frau, die ihm hilft, die Karriereleiter Stufe um Stufe emporzuklettern. Und Frauen sind es, die ihn immer wieder teilhaben lassen an der mondänen Gesellschaft. Frauen, die ihn aufrichtig lieben, während er sie nur benutzt. Ein Roman, an dessen Ende der Emporkömmling nicht etwa überführt wird, sondern oben angekommen ist. Politisch. Gesellschaftlich. Beruflich. Der Blender siegt. Eigentlich ist es ein Schurkenroman. Aber man kann ihn auch als Satire lesen.

Maupassant zeigt in diesem Roman sein ganzes Genie. Man hat das Gefühl, den Helden Georges Duroy, der sich schon bald in Du Roy umbenennt, so gut zu kennen, dass man sich, träfe man ihn auf der Straße, sofort mit ihm unterhalten könnte. Und Maupassant gelingt das Kunststück, dass man als (männlicher) Leser neidisch ist auf dieses Ekel, dem alles zu Füßen fällt. Sowohl der berufliche Erfolg als auch der Erfolg bei den Frauen.

Und Maupassant hat es verstanden, szenisch wie ein Gegenwarts- beziehungsweise wie ein Drehbuchautor moderner Serien zu schreiben. Beispiel eins: Nachdem der Held, der genaugenommen ein Antiheld ist, seinen ersten Artikel geschrieben hat, kann er in der Nacht vor der Veröffentlichung nicht schlafen. Derart aufgeregt ist unser Casanova. Dann liest er am Morgen seinen Artikel in einem Café, lobt den Artikel laut mit sich selbst sprechend und lässt die Zeitung aufgeschlagen liegen. Herrlich. Beispiel zwei: Er hat sich zu einem Duell hinreißen lassen, vor dem er eine abscheuliche Angst hat. Man blättert und blättert, der Roman wird zum Pageturner, denn man selbst hat auch Angst!! Um diesen Kerl, der es ja eigentlich nicht verdient, dass man mit ihm zittert.

Maupassant hat immer betont, seine Figuren hätten mit ihm nichts gemein. Das stimmt natürlich nicht. Maupassant selbst war genau dieser Frauenverführer, den er in Bel-Ami schildert. (Allerdings hat er sie nicht nur benutzt.) Im Gegensatz zu Bel-Ami ist Maupassant jedoch ein echtes Genie gewesen und musste sich seine Texte von niemandem schreiben lassen.

Der Roman ist auch ein wunderbares Beispiel für die Bedeutung von Literaturkritik. Oft ist Maupassant vorgeworfen worden, er würde ein ganzes Milieu verunglimpfen, das er gar nicht kennen würde. Maupassant hat in einem offenen Brief an den „Figaro“ geantwortet: Alles Quatsch! Es gehe in seinem Roman nicht um die Presse, sondern um „das Leben eines Abenteurers“. Während Zola sich gegen Kritik an „Germinal“ verteidigen musste, verteidigte auch Maupassant sich. Was waren das für spannende Zeiten, als man in den Zeitungen zum Teil auf Titelseiten über Literatur stritt?

„Germinal“. „Bel-Ami“. Zwei Romane aus dem Jahr 1885, die aus dem Kanon der Weltliteratur nicht wegzudenken sind. Und dann starb Victor Hugo. Maupassant sorgte sich, weil sich das auf die Verkaufszahlen niederschlagen könnte. Schließlich würde die Presse wochenlang nur über Hugo berichten. Das tat sie auch. „Bel-Ami“ wurde trotzdem zu einem großen Erfolg.

Dass im 21. Jahrhundert ein Deutscher diesen Artikel schreibt, in dem er aus seiner Begeisterung keinen Hehl macht, hätte sich Maupassant gewiss nicht träumen lassen.


Arne Ulbricht, geboren 1972 in Kiel, lebt und arbeitet nach Stationen in u. a. Paris, Hamburg, Berlin und Wuppertal in Göteborg. Er schreibt seit 1997, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ulbricht ist ein ausgewiesener Maupassant-Kenner und -Fan. In „Cette petite crapule de Maupassant“ hat er die Lebensgeschichte des jungen Maupassant als Roman verarbeitet. Sein aktueller Roman „Schilksee 1990“ nähert sich dem Thema der Jugend zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten an, nämlich in den Jahren 1990 und 2019. Der Erfolgsschriftsteller Fabian Herzog erhält darin die einmalige Gelegenheit, seine Jugend ein zweites Mal zu erleben.

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