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„Bibliomanie“ von Gustave Flaubert

In einer Geschichte, die er im jungen Alter von 15 Jahren schrieb, erzählt Gustave Flaubert von einem Bibliomanen, dem Buchhändler und Antiquar Giacomo, der zurückgezogen einen Laden in Barcelona betreibt. Dort verehrt er die Bücher, die er angehäuft hat, so sehr, dass er jegliches Maß verliert und das echte Leben vergisst. Diese abgöttische Liebe für die Bücher wird ihm schließlich zum Verhängnis.

Was kann man über diesen schmalen Band von 68 Seiten sagen? Es handelt sich bei diesem Büchlein um ein schön gestaltetes Werk, das mit hübschen Illustrationen des Berliner Illustrators Burkhard Neie versehen ist. Die Illustrationen machen aus dem Buch beinahe selbst ein bibliophiles Werk, sodass Inhalt und Formgebung gut zueinander passen. In den Illustrationen werden sowohl Elemente und Figuren der Geschichte punktuell aufgegriffen als auch werden die Bücher, die in der Geschichte „Bibliomanie“ im Zentrum stehen, gestalterisch eingebunden, indem Ausschnitte aus Büchern, z. B. Titelblätter, in die Bilder eingeflochten werden.

In der Geschichte selbst geht es um den 30jährigen ehemaligen Mönch und Buchhändler Giacomo, der den Geruch von alten Büchern, das Gefühl von Büchern, den Anblick von Goldschnitt und schönen Buchstaben oder Buchrücken über alles liebt und verehrt. Er verbringt die Nächte damit, seine Bücher in den Regalen zu betrachten und durchzublättern, jedoch ohne diese zu lesen. Es handelt sich um eine Liebe, die allein auf äußeren Merkmalen beruht, nicht jedoch auf dem Inhalt und den Texten basiert.

Eines Tages kommt ein nobler Student zu Giacomo und möchte sein liebstes und teuerstes Buch, die Handschrift „Türkische Chronik“, erwerben. Obwohl Giacomo sich zunächst hartnäckig dagegen wehrt, überlässt er die Handschrift schließlich dem Edelmann, da dieser ihm 600 Pistolen bietet und zudem verrät, dass ein gewisser „Mann an der arabischen Maut“ das Buch „Mysterium des heiligen Michael“ besitze, ein Wissen, welches Giacomo in einen ungekannten Freudentaumel versetzt. Doch als Giacomo den Mann aufsucht, hat dieser es bereits an einen anderen verkauft.

Die Geschichte zieht ihren Reiz daraus, dass man mit Giacomo für die Bücher fiebert, gewissermaßen selbst zum Bibliomanen wird und auf Jagd nach den begehrten Büchern geht. Außerdem kann sich jemand, der selbst gerne Bücher liest und kauft, gut mit dem Protagonisten identifizieren, der sich aufgrund seiner etwas absonderlichen Art nicht in die gewöhnliche Stadtgesellschaft Barcelonas fügen möchte. Sein größter Konkurrent ist Baptisto, ein zweiter Buchhändler, der mit ihm um den Besitz seltener und wertvoller Bücher und Handschriften kämpft und meist über den finanziell unterlegenen Giacomo obsiegt.

So ist es auch bei einer Auktion, bei der eine Bibel in lateinischer Sprache versteigert wird. Dieses seltene Stück möchte Giacomo, der bereits nicht zu seinem „Mysterium des heiligen Michael“ kam, unbedingt erwerben. Er bietet bei der Auktion seine 600 Pistolen, doch Baptisto überbietet ihn. Doch sowohl diese Bibelausgabe als auch das „Mysterium“, beide Bücher, die Giacomo heftig begehrte, bringen ein übles Schicksal für ihre Besitzer. Der Besitzer des „Mysterium des heiligen Michael“ stirbt, bei Baptisto brennt es nach dem Erwerb der Bibel. Als Giacomo von dem Brand erfährt, eilt er zur Buchhandlung seines Konkurrenten und rettet das begehrte Buch aus den Flammen – mit fatalen Folgen.

Diese kurze und ebenso kurzweilige Geschichte zeigt bereits im Kleinen das ganze erzählerische Talent Gustave Flauberts, das sich später in Werken wie „Lehrjahre der Gefühle“ oder „Emma Bovary“ vollständig entfalten sollte. Es ist die erste Geschichte, die von ihm publiziert wurde, wie wir im Nachwort der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken erfahren. Und dennoch merkt man an keiner Stelle, dass wir hier einen „jungen“ Flaubert im Sinne eines noch nicht fertig gereiften Erzählers vor uns haben. Denn seine Lebensthemen klingen hier schon an, und auch die Geschichte wirkt nicht konstruiert, überzeichnet oder holzschnittartig, wie das bei einer ersten Erzählung vielleicht der Fall sein könnte.

Der Übersetzer Erwin Rieger hat ebenfalls eine gute Arbeit vorgelegt, denn der ins Deutsche übersetzte Text liest sich flüssig und lebhaft, ohne sich zu sehr von dem Vokabular des Originals und der damaligen Zeit zu entfernen. Man kann daher in die Geschichte eintauchen und sie an einem Abend lesen. Ich würde „Bibliomanie“ jedem und jeder empfehlen, der schöne und gute Bücher mag, sowie denjenigen, die selbst gern Bücher kaufen und sich selbst durch abschreckende Beispiele vielleicht etwas Heilung verschaffen möchten – wenigstens für kurze Zeit.

Bewertung: ⭐⭐⭐⭐⭐ 5 / 5

Gustave Flaubert: Bibliomanie, übersetzt von Erwin Rieger, mit einem Nachwort von Barbara Vinken, illustriert von Burkhard Neie. Berlin: Insel Verlag. 8 €.

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