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Die Kopenhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen

Tove Ditlevsens autobiographische Kopenhagen-Trilogie ist in diesem Frühjahr in aller Munde. In den Werken „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“ beschreibt die dänische Schriftstellerin (1917-1976) im Rückblick ihr Aufwachsen im Kopenhagener Arbeiterviertel Vesterbro der 1920er und 1930er Jahre, ihre Anfänge als Dichterin sowie ihre aufeinanderfolgenden Beziehungen mit Männern und Medikamentenabhängigkeit. Die Trilogie lässt die Leserinnen und Leser an einem wechselhaften Dichterinnen-Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Dänemark teilhaben.

Tove Ditlevsens autobiographische Kopenhagen-Trilogie ist in diesem Frühjahr in aller Munde. In den Werken „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“ beschreibt die dänische Schriftstellerin (1917-1976) im Rückblick ihr Aufwachsen im Kopenhagener Arbeiterviertel Vesterbro der 1920er und 1930er Jahre, ihre Anfänge als Dichterin sowie ihre aufeinanderfolgenden Beziehungen mit Männern und ihre Medikamentenabhängigkeit.

Tove Ditlevsen wurde 1917 als Tochter von Alfrida und Dileve Nielsen Ditlevsen geboren und wuchs in dem Kopenhagener Arbeiterviertel Vesterbro auf. Mit vierzehn verließ sie die Schule und wurde Dienstmädchen und Bürogehilfin. Eigentlich wollte sie aber Schriftstellerin werden und verfasste bereits als Jugendliche Lyrik. Ihr erster Gedichtband hieß „Mädchensinn“.

Ihre erste Ehe schloss sie 1939 mit dem Journalisten Viggo Frederik Møller. Darauf folgten nach der Scheidung nacheinander drei weitere Ehen mit Ebbe Munk, Carl T. Ryberg und Victor Andreasen, aus denen eine Tochter und zwei Söhne hervorgingen. Als Erwachsene kämpfte Ditlevsen mit Alkohol- und Drogenmissbrauch und wurde mehrere Male in einer psychiatrischen Klinik behandelt. 1976 starb sie durch Suizid an einer Überdosis Schlaftabletten.

Als Schriftstellerin veröffentlichte Ditlevsen 29 Werke, darunter Kurzgeschichten, Romane, Gedichte und Memoiren. Wiederkehrende Themen ihres Werkes sind beispielsweise ihre Kindheit, die weibliche Identität und Erinnerungen. Die Kopenhagen-Trilogie, um die es hier gehen soll, erschien in Dänemark zwischen 1967 und 1971 und besteht aus den drei Bänden „Kindheit“ (dänisch: „Barndom“), „Jugend“ („Ungdom“) und „Abhängigkeit“ („Gift“). Die gesamte Trilogie wurde durch Michael Favala Goldman 2019 ins Englische übersetzt und als „The Copenhagen Trilogy“ herausgegeben; 2021 erschienen die drei Bände einzeln in der deutschen Übersetzung von Ursel Allenstein im Aufbau Verlag.

Die deutsche Ausgabe der Kopenhagen-Trilogie wurde in der literarischen Welt mit großer Anerkennung aufgenommen. Die Aufmerksamkeit, die die Trilogie erfährt, ist nicht grundlos, denn die Bücher entsprechen in mehrfacher Hinsicht ganz den aktuellen Anforderungen des Literaturbetriebs: Die drei schmalen Bände wurden nicht nur von einer Frau verfasst, sodass ihre Veröffentlichung und Rezeption einen Beitrag zu der Forderung leisten, mehr Bücher von Frauen zu lesen und weibliche Literatur mehr in den Fokus zu rücken (im Sinne des Hashtags #Frauenlesen).

Darüber hinaus handelt es sich aber auch um die Gattung der Autobiographie bzw. Autofiktion – ein nicht immer klar abzugrenzendes Genre, das in den letzten Jahren einen großen Aufschwung und Zuspruch erlebt hat. Die Leserinnen und Leser interessieren sich für Geschichten, die den Anschein des Echten, Authentischen erwecken. Die drei Folgen der Kopenhagen-Trilogie, obgleich sicherlich in mancherlei Hinsicht fiktionalisiert, besitzen dennoch einige Verbindungen zur reellen Biographie der Autorin Tove Ditlevsen, sodass zumindest in einem gewissen Maß dafür gebürgt wird, dass echtes Erleben hinter den geschilderten Erlebnissen steht.

So spielt beinahe die Gesamtheit der Geschichte in Kopenhagen, ein Großteil sogar in Vesterbro, wo Tove Ditlevsen aufgewachsen ist und gelebt hat. Außerdem kommen die Mutter, der Vater, der Bruder und Freunde sowie die sukzessiven Ehemänner vor und es werden die Arbeit, die Ehen, die Drogensucht sowie die Anfänge als Dichterin geschildert, was alles zusammengenommen ebenfalls den Eindruck des biographisch Echten zu erwecken imstande ist.

„Frauen erzählen Geschichten anders“, heißt es auf dem mit einem Bild der Autorin bedruckten Werbe-Lesezeichen, das allen von mir erworbenen Büchern der Trilogie vom Aufbau Verlag beigelegt wurde. Und tatsächlich löst sich dieses Versprechen in vollem Umfang ein: Denn vom ersten Band „Kindheit“ an bis zum dritten Band „Abhängigkeit“ erfahren wir, die Leserinnen und Leser, die realistisch geschilderte Welt der Erzählerin Tove aus einer dezidiert weiblichen Perspektive, die die spezifischen Herausforderungen einer Frauenbiographie zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder aufzeigt.

Die Erzählerin darf Dinge nicht, die ihrem Bruder erlaubt sind. Ihr Vater versucht ihrem leidenschaftlichen Wunsch Einhalt zu gebieten, Dichterin und Schriftstellerin zu werden, da dies kein Beruf für Frauen sei, und schließlich wird immer wieder deutlich gemacht, dass es die nicht zu hinterfragende Aufgabe einer Frau sei, möglichst rasch in den sicheren Hafen einer Versorgungsehe einzulaufen, während die Männer die Verantwortung für die Familie und ihre Gattin zu übernehmen haben.

Dass die unstete Natur Tove Ditlevsen, die auch ihre Arbeitsstellen häufig wechselte, sowohl im echten Leben wie auch in dessen literarischem Abbild ihre Zuflucht und Sicherheit in einer Abfolge von vier Ehen suchte, darf wahlweise als späte Ironie der Geschichte oder – nicht bewusst herbeigeführte – Rache an der gesellschaftlich vermittelten Vorstellung gewertet werden, als Frau müsse sie ihr Heil in einer Versorgerehe suchen, die ein Leben lang halte.

Der gelungenste Band der Reihe ist wahrscheinlich der erste, in dem wir als Leserinnen und Leser die Kindheit und das Aufwachsen der Ich-Erzählerin und Protagonistin Tove im Arbeiterviertel Vesterbro miterleben.

Ich bin am 14. Dezember 1918 in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Vesterbro in Kopenhagen geboren worden. Wir wohnten in der Hedebygade 30 A, und A bedeutete Hinterhaus. Im Vorderhaus, von dessen Fenstern aus man auf die Straße herabschauen konnte, lebten die feineren Menschen. Obwohl ihre Wohnungen exakt so aussahen wie unsere, bezahlten sie zwei Kronen mehr Miete. Es war das Jahr, in dem der Weltkrieg aufhörte und der Acht-Stunden-Tag eingeführt wurde. Mein Bruder Edvin wurde geboren, als der Weltkrieg anfing, und damals arbeitete mein Vater zwölf Stunden am Tag.

Diese Einführung in die Verhältnisse der Familie der Erzählerin gibt den Ton der Erzählung vor: lebendig, sodass die Welt von damals zum Leben erwacht, präzise und die Dinge klar beim Namen nennend, authentisch, obwohl an manchen Stellen Einzelheiten sicherlich fiktionalisiert wurden oder Erinnerungen sich gegenüber der Realität verändert hatten, verfasst in rhythmischen, aber nicht zu langgestreckten Sätzen.

Als Arbeiterkind wurde Tove Ditlevsen 1917, wie auch das Nachwort der Übersetzerin klarstellt, in eine Umgebung geboren, die für ihren Traum einer literarischen Karriere „äußerst ungünstige Voraussetzungen“ bot. Bereits ihr Vater hatte vom Schreiben geträumt und eine Journalistenlehre begonnen, die er allerdings letztlich abbrach, um dann als Arbeiter in einer Bäckerei und am Ende als Heizer zu arbeiten. Tove Ditlevsen war wie ihr Vater von Büchern begeistert und konnte bereits vor der Einschulung lesen und schreiben, wofür ihre Grundschullehrerin sie paradoxerweise tadelte, da sie ihr auf diese Weise nichts mehr beibringen konnte. Die Erzählerin in „Kindheit“ liest die Bücher ihres Vaters und aus der Bibliothek. Nur als sie sagt „Ich möchte auch Dichter werden“, reagiert dieser forsch:

Er runzelte die Stirn und erwiderte: „Bild dir bloß nichts ein. Ein Mädchen kann nicht Dichter werden.“ Ich zog mich gekränkt und betrübt in mich selbst zurück, während meine Mutter und Edvin über meinen abstrusen Einfall lachten. Ich schwor mir, nie wieder jemand anderem meine Träume zu verraten und hielt mich meine ganze Kindheit über daran.

Als der Vater im Alter von Mitte 40 arbeitslos wird, vertuscht die Familie diese gesellschaftliche Schande, indem sie gegenüber anderen, wie damals üblich, behauptet, er sei nur krankgeschrieben oder vom Gerüst gefallen. Der Vater und der Bruder, der eine Ausbildung zum Handwerker – angeblich eine krisensichere Arbeit – macht, sind beide stolze Anhänger der sozialistischen Partei und Mitglied der Gewerkschaft, was für sie zu ihrer Identität als Arbeiter gehört.

Die Erzählerin kommt auf die Sekundarschule, findet eine Freundin, Ruth, mit der sie sich über die Nöte der Pubertät austauscht und ein paar Abenteuer erlebt und muss sich schließlich damit abfinden, dass ihre Eltern aus finanziellen Gründen nicht erlauben, dass sie das Gymnasium besucht, obwohl ihre Lehrerin Fräulein Mathiassen eine Empfehlung dafür ausgesprochen hat. Vielmehr soll sie sich nach dem Ende der Sekundarstufe mit 14 Jahren eine Lehrstelle als Hausmädchen suchen, um selbst Geld zu verdienen und damit einen Beitrag zur Familienkasse zu leisten.

Gegen Ende des ersten Bandes „Kindheit“ vermittelt der Bruder seiner Schwester Tove über einen Freund den Kontakt zu dem Redakteur Brochmann bei der Zeitung „Social-Demokraten“, der ihre Gedichte vielleicht veröffentlichen könnte – ein kleiner Hoffnungsschimmer. Doch der Redakteur weist die Lyrik der 14-jährigen Dichterin ab: „Kommen sie in ein paar Jahren wieder. (…) Auf Wiedersehen, meine Liebe.“ Die Hoffnung der jungen Dichterin ist nach dieser ersten Niederlage dahin:

Langsam und betäubt gehe ich durch den Frühling der Stadt, der Frühling der anderen, die jubelnde Verwandlung der anderen, das Glück der anderen. Ich werde nie berühmt sein, meine Gedichte sind nichts wert. Ich werde einen soliden Handwerker heiraten, der nicht trinkt oder eine feste Stelle mit Rentenanspruch hat. Nach dieser vernichtenden Enttäuschung vergeht sehr viel Zeit, ehe ich wieder in mein Poesiealbum schreibe.

Doch Tove schreibt die Gedichte für sich selbst weiter, sie fühlt sich gar gezwungen, zu schreiben, „denn sie dämpfen die Trauer und Sehnsucht in meinem Herzen“. Selbst in ihren jungen Jahren erlebt Tove bereits so etwas wie eine Depression oder eine depressive Phase, da sie sich niedergeschlagen versucht, mit einem Messer eine Pulsader aufzuschneiden, was aber zum Glück nicht gelingt. Diese frühen Anzeichen der Depression werden sich später in einer Medikamenten- und Drogensucht niederschlagen.

Tove kommt nach der Schulzeit und ihrer Konfirmation in eine Anstellung als Hausmädchen, die sie allerdings bereits nach einem einzigen Arbeitstag in dem fremden Haushalt wieder aufgeben muss, da sie sich dort ungeschickt anstellt. Auch später wechselt sie häufig die Arbeit: Zunächst ist sie bei einer Fremdenpension beschäftigt, wo sie sich langweilt. In der Zwischenzeit wird ihr Bruder arbeitslos, später arbeitet sie als Büroangestellte, wobei sie auch nacheinander in verschiedenen Büros tätig ist.


Auf ihrem durchaus ungewöhnlichen Weg lernt sie zahlreiche Menschen kennen, die sie eine Strecke begleiten: Da wäre zum Beispiel der ältere Herr Krogh, ein belesener Mann mit vielen Büchern, der sie erstmals an der hohen Literatur teilhaben lässt, aber dann vor der Zeit stirbt, was eine bleibende Enttäuschung hinterlässt, oder die verschiedenen Heiratsanwärter, etwa Herr Jensen, mit dem Tove eine Weile regelmäßig ins Kino geht, oder Aksel, mit dem sie sich nach 14 Tagen verlobt. Und dann wäre da auch noch ihre umtriebige Freundin Nina aus der Theatergruppe, die Ruth ablöst. Mit ihr geht Tove tanzen und lernt Männer kennen.

Geschlechterspezifisch in der Kopenhagen-Trilogie ist der Einblick in die Suche nach einer Beziehung und nach Abhängigkeitsbeziehungen, in die sich die Protagonistin und Erzählerin als Frau begibt, um ihre Gedichte veröffentlichen zu können und um finanziell durch ihre sukzessiven Ehemänner abgesichert zu sein.

Immer wieder kehrt der Satz, dass alle Menschen einander zu einem Zweck gebrauchen, den Herr Krogh einmal gegenüber Tove geäußert hat. Dieser sehr pragmatische Satz wird zu einem Leitmotiv der Trilogie und ist mitunter bestimmend für den Blick der Erzählerin auf andere Menschen.

Nachdem ihre ersten Gedichte anfangs als noch unfertig abgewiesen worden sind, schreibt Tove bald Gedichte und Lieder als Auftragsarbeit für zahlreiche Kolleginnen und Kollegen der Druckerei, bei der sie arbeitet, da sich ihre Begabung herumgesprochen hat. Die Verlobung mit Aksel ist bereits lange wieder aufgelöst, da dieser sich als verantwortungslos und leichtsinnig erwiesen hatte – und ungeeignet als Lebensgefährte war für ein Mädchen, „das einmal Zugang zu höheren Kreisen haben möchte“.

Mit 18 Jahren beginnt ein neuer Lebensabschnitt für Tove: neuer Bürojob bei einer Firma, da ihr von der Druckerei gekündigt wurde, neues Zimmer bei der unausstehlichen, rechtsextremen Vermieterin Frau Suhr in dem etwas besseren Stadtviertel Østerbro, wo sie allerdings unabhängig von ihren Eltern ist und über ihre Zeit und die Gäste, die sie empfängt, frei verfügen kann, sowie schließlich die Einsendung ihrer Gedichte bei der dänischen Literatur-Zeitschrift „Wilder Weizen“, bei der junge, unbekannte Menschen ihre Gedichte oder Zeichnungen drucken lassen können.

Zunächst schafft es Tove, das von ihr eingesandte Gedicht „An mein totes Kind“ in der Zeitschrift für junge Lyrik zu veröffentlichen, während zwei andere Gedichte von ihr abgelehnt werden. Am Ende des zweiten Bandes lernt sie dann den Herausgeber der Zeitschrift „WilderWeizen“, Viggo F. Møller kennen, der sie nicht nur ausführt, sondern auch fragt, ob sie sich vorstellen könne, einen gesamten Gedichtband herauszubringen. Nach einigen Rückschlägen – Verlage nehmen ihr Manuskript nicht an – entscheidet sich ein Verlag für die Veröffentlichung. Endlich erfüllt sich der lange gehegte Wunsch eines eigenen Lyrikbandes!

Mit diesem älteren Mann Viggo F. geht Tove schließlich eine ernsthafte Beziehung und daraufhin eine Ehe ein. Es ist eine Beziehung, die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Nutzens und auf dem geteilten literarisch-künstlerischen Interesse beruht. Viggo F. umgibt sich gern mit Künstlern. Er hilft ihr, ihren ersten Gedichtband „Mädchenseele“ herauszubringen. In einer Auflage von 500 Exemplaren erscheint der Band – und die Erzählerin ist überglücklich.

Innerhalb der Erzählung gibt es einige männliche Gegenpole zur Erzählerin – den Vater, ihren Bruder und ihre Ehemänner, über deren Leben, Eigenschaften und Eigenheiten die Protagonistin mit mindestens ebenso großer Offenheit spricht wie über ihre eigenen. Es gibt Männer, die dem Arbeitermilieu zuzuordnen sind, wie ihr Vater und ihr Bruder, und die daher von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alkoholsucht bedroht sind, und Männer aus bessergestellten Familien, die studiert haben, sich für Kunst und Literatur interessieren und zum sozialen Aufstieg genutzt werden können. Allerdings wird im dritten Band, „Abhängigkeit“, deutlich, dass auch diese zweite Kategorie der Männer ihre Risiken mit sich bringt und nicht, wie Tove zunächst annahm, ein sicherer Hafen ist.

Denn in „Abhängigkeit“ geht es vor allem um das Finden, die Entwicklung und das Scheitern der verschiedenen Beziehungen zu Männern, die die Erzählerin eingeht, sowie um die Drogen- und Medikamentensucht, die sie mit ihrer letzten Beziehung zu einem angehenden Arzt verbindet. Außerdem schreibt die Protagonistin im dritten Band nicht mehr nur Gedichte, sondern auch Romane und bekommt Nachwuchs.

Zunächst stellt sich heraus, dass die Ehe zu Viggo F. lieblos ist: Er nimmt seine junge Frau nicht in den Arm, sie kommen sich kaum nah, er macht ihr aus Sparsamkeit keine Geschenke. Außerdem findet er, dass sich seine Frau weiterbilden sollte, da sie bereits mit 14 von der Schule abgegangen ist. Sie hingegen hat dazu keine Lust und noch dazu ein schlechtes Gewissen, dass ihr die von ihrem Ehemann verfassten Bücher nicht gefallen. Tove arbeitet in dieser Zeit an ihrem ersten Roman, was sie glücklich macht.

Damit sie ein wenig Abwechslung bekommt, wird ein „Club der jungen Künstler“ gegründet, bei dem sich junge Menschen versammeln und austauschen können, die zuvor für die Zeitschrift „Wilder Weizen“ geschrieben haben. Sie wird die Vorsitzende des neuen Vereins. In diesem Club herrscht Aufbruchstimmung. Die Freundin Nadja bringt sie auf die Idee, sich wegen des ausbleibenden Ehelebens von Viggo F. scheiden zu lassen. Unter den Künstlern interessiert sich Piet Hein näher für Tove, den sie nach einiger Zeit heimlich trifft. Sie wird allerdings von Nadja vor dem „gefährlichen“ Piet gewarnt, da er diese schon unerwartet für eine andere Frau verlassen hat.

Tove entscheidet sich schließlich für die Scheidung von Viggo F. Sie zieht aus dem Haus des Verlegers aus und in eine Pension ein, die Piet ihr besorgt hat. Doch schon einen Monat später lässt Piet sie im Stich: Er hat eine andere junge Frau kennengelernt, in die er sich nach seinen Worten sofort verliebt habe. Die Folge dieser für Tove zunächst niederschmetternden Trennung: Die junge Schriftstellerin zieht für sich die Konsequenz, dass sie sich fortan vom Schreiben selbst ernähren muss, anstatt sich von einem Mann durchfüttern zu lassen.

Bei einem studentischen Gelage namens „Lichterkreis“, zu dem Nadja Tove mitnimmt, lernt die Protagonistin den Volkswirtschaft-Studenten Ebbe kennen. Die Studierenden dort betrinken sich, liegen betrunken und verkatert herum. Doch aus dem betrunkenen Treffen wird mehr: Tove und Ebbe verlieben sich, bekommen ein Kind, wollen heiraten, doch Ebbe betrinkt sich häufig und denkt, er sei zu nichts zu gebrauchen. Währenddessen erscheint Toves erster Roman, der gut besprochen wird. Ebbe wollte ursprünglich Literatur studieren und interessiert sich für die Arbeit seiner Partnerin. Abends in seiner Freizeit löst er Gleichungen.

Als das Kind, das Mädchen Helle, geboren ist, freut sich Tove über die neue Normalität. Wie sie auch stets eine normale junge Frau sein wollte, die zwar Gedichte schreibt, aber dennoch einen Mann finden wollte, ist sie nun glücklich über ihre kleine „normale“ Familie:

Ich beuge mich über die Wiege und ergreife die winzigen Finger. „Jetzt sind wir Vater, Mutter, Kind“, sage ich, „eine ganz normale, gewöhnliche Familie.“ „Warum möchtest du eigentlich so gern normal und gewöhnlich sein?“, fragt Ebbe verwundert. „Es ist doch ganz eindeutig, dass du es nicht bist.“ Darauf kann ich ihm auch keine Antwort geben, aber ich habe es mir gewünscht, solange ich denken kann.

Doch das Glück hält nicht sonderlich lange an: Ebbe leidet bald darunter, dass seine Frau nach der Geburt keine Lust mehr auf ihn hat. Dazu kommt noch, dass er sich ihr als armer Student unterlegen fühlt, weil sie berühmt ist und durch ihr Schreiben das Geld nach Hause bringt. Etwas in der Beziehung der beiden geht zu Bruch, als Ebbe mit einer anderen Frau  fremdgeht und Tove dies erfährt: „Etwas Wesentliches, etwas unendlich Gutes und Wertvolles zwischen uns ist zerstört, und für Ebbe ist es schlimmer, weil er sich seine Sorgen und Nöte nicht so wie ich von der Seele schreiben kann.“ Um etwas Ruhe in die Situation und eventuell neuen Schwung in die Ehe zu bringen, verbringt Tove einige Zeit bei einer Freundin auf dem Land.

Danach ist das Verhältnis zwischen ihr und Ebbe tatsächlich gebessert. Ihr Mann arbeitet inzwischen beim Zivilschutz, während die Deutschen Dänemark eingenommen haben, und beteiligt sich im Widerstand. Währenddessen hat Tove andere Schwierigkeiten: Sie versucht ein zweites Kind abtreiben zu lassen, was zu einigen Niederschlägen führt, da sie von den aufgesuchten Ärzten abgewiesen wird.

Die ziemlich lange Passage über den Versuch einer Abtreibung, die letztlich mit Tabletten gelingt, ist sicher eine einigermaßen authentische Darstellung der damaligen Verhältnisse. In dem kirchlichen Krankenhaus, in dem die Abtreibung schließlich vorgenommen wird, weiß zwar jeder, was vor sich geht, doch zum Schein muss man so tun, als ob die Frau geblutet hätte und das Kind daher nicht mehr gerettet werden konnte. Für mich war dieser Abschnitt einer der am schwierigsten zu verdauenden Abschnitte der gesamten Trilogie.

Der Krieg endet und die Nationalsozialisten sind besiegt. Bei einem ausgelassenen Fest lernt Tove, immer noch mit Ebbe verheiratet, einen Medizinstudenten kennen. Doch sie ist unvorsichtig und wird erneut schwanger. Der Medizinstudent Carl hilft ihr, das Kind, das sie nicht möchte, abzutreiben. Damit sie keine Schmerzen bei dem Eingriff erdulden muss, bekommt die Patientin das Schmerzmittel Pethidin.

Sie möchte das Mittel bei weiteren Besuchen bei dem jungen Arzt Carl erneut gespritzt bekommen. Damit beginnt die Spirale der Abhängigkeit zwischen Carl und Tove und Tove und den Medikamenten, die im zweiten Teil von „Abhängigkeit“ geschildert wird. Ebbe ist in diesem zweiten Teil bereits tot. Die Protagonistin hingegen hat sich in die schmerzstillende Flüssigkeit aus der Spritze verliebt, die ihr injiziert wurde, und möchte auch aus diesem Grund mit Carl zusammen sein, der ihr das Mittel besorgen kann.

Carl und Tove heiraten. Ein Freund von Carl weist Tove darauf hin, dass Carl schon einmal in eine Psychiatrie eingewiesen wurde und wieder krank zu werden scheint. Doch da sie die von ihm abhängige Freundin ist, wehrt sie diese Warnungen ab, obwohl sie ihr ein wenig Angst machen. Außerdem bekommt sie ein Kind von Carl. Um weiterhin betäubende Medikamente von ihrem „großzügigen“ Ehemann zu erhalten, behauptet sie diesem gegenüber, sie könne wegen der Schwangerschaft nicht einschlafen. Damit beginnt die Abhängigkeit von einem Schlafmittel und später von Methadon.

Die Erzählerin braucht immer mehr von den Medikamenten und Drogen, um noch zu funktionieren. Da selbst ihr Mann merkt, dass sie zu viel davon nimmt, erfindet sie Ohrenschmerzen, um die Spritzen zu bekommen, von denen sie mittlerweile abhängig ist. Wegen der erdachten Ohrenschmerzen wird sie operiert, obwohl es keine Grundlage für die OP gibt. Auf die von Abhängigkeit geprägte Beziehung mit Carl folgen schließlich ein Entzug und am Ende die Trennung. Die beiden sehen sich nie mehr.

Doch auch nach dem Entzug bleibt Tove nicht völlig abstinent. Denn sie fälscht heimlich Rezepte für Tabletten und nimmt wieder Methadon, das sie sich bei wechselnden Apotheken in Kopenhagen beschafft. Von verschiedenen Ärzten lässt sie sich unter Vorwänden Spritzen setzen. Sie lernt einen neuen Mann kennen, Victor, der wie Ebbe Volkswirt ist und sich für Literatur interessiert – und ihr ein wenig dabei hilft, ihre Abhängigkeit zu bekämpfen, auch wenn es letztlich ihr eigener Kampf bleibt. Am Ende sehen die beiden nur einen Ausweg: mit den Kindern von Kopenhagen aufs Land umzuziehen, wo es keine Apotheken und Ärzte in Überzahl gibt, sodass Tove ihre Sucht nicht ausleben kann.

Ich war von meiner jahrelangen Abhängigkeit geheilt, aber noch heute erwacht die alte Sehnsucht manchmal ganz leise in mir, wenn ich mir Blut abnehmen lasse oder an einer Apotheke vorbeigehe. Sie stirbt nie ganz, solange ich lebe.

Damit endet die Kopenhagen-Trilogie, die in drei Bänden von einer Länge zwischen 110 und 170 Seiten eine Fülle von aus dem Leben gegriffenen Themen behandelt. Für mich waren besonders der erste und der dritte Band stark: Der erste Band thematisiert in einer einfühlenden und mitreißenden Weise das Thema Kindheit in einem Arbeiterviertel, von Anfang an steht dabei Tove Ditlevsens Wunsch, Dichterin zu werden, im Vordergrund. Im zweiten Band hangelt sich die Protagonistin nur von einer Beziehung zur nächsten, was ein wenig langatmig und langweilig wird. Die eine Beziehung scheitert, die nächste folgt…

Im dritten Band schließlich tritt mit Carl, dem Mediziner, ein neues Thema in den Vordergrund: die Abhängigkeit der Erzählerin Tove zu Tabletten, Spritze, Medikamenten, die einhergeht mit der Abhängigkeit zu dem psychisch kranken jungen Mann, der ihr zu eben diesen Mittelchen verhilft. Erst mithilfe ihrer Eltern und einiger wohlwollender Menschen zieht sich Tove am Ende aus dem Sumpf der Abhängigkeiten, in den sie sich selbst begeben hat. Es ist der spannungsvollste Band, der die Erzählerin zugleich als Opfer wie auch als Täterin zeigt.

Auch die reale Schriftstellerin Tove Ditlevsen, die Verfasserin der Kopenhagen-Trilogie, war  von Medikamenten und Alkohol abhängig. Sie schrieb die ersten beiden Bände der Trilogie, „Kindheit“ und „Jugend“, 1967 während eines Psychiatrie-Aufenthalts, der dem Ziel diente, nicht am Alkohol zugrundezugehen. Zuvor hatte sie eine jahrelange Schaffenspause, in die Klinik ging sie nur unter der Bedingung, dass sie ihre Schreibmaschine mitnehmen durfte. In „Abhängigkeit“ thematisiert sie kompromisslos ihre eigene Medikamentensucht – eine Art der Lebensrettung. Schreiben wird in Tove Ditlevsens Werk auf diese Weise zu einer Voraussetzung für das Überleben.

Bewertung: 5/5

Bibliographische Angaben:
Autorin: Tove Ditlevsen
Titel: Kindheit: Teil 1 der Kopenhagen-Trilogie
Übersetzung aus dem Dänischen: Ursel Allenstein
Verlag: Aufbau Verlag
Seitenzahl: 118
Erscheinungsdatum: 18.01.2021
ISBN: 9783351038687
Kaufpreis: 18 €

Autorin: Tove Ditlevsen
Titel: Jugend: Teil 2 der Kopenhagen-Trilogie
Übersetzung aus dem Dänischen: Ursel Allenstein
Verlag: Aufbau Verlag
Seitenzahl: 154
Erscheinungsdatum: 15.02.2021
ISBN: 978-3351038694
Kaufpreis: 18 €

Autorin: Tove Ditlevsen
Titel: Abhängigkeit: Teil 3 der Kopenhagen-Trilogie
Übersetzung aus dem Dänischen: Ursel Allenstein
Verlag: Aufbau Verlag
Seitenzahl: 176
Erscheinungsdatum: 15.02.2021
ISBN: 9783351038700
Kaufpreis: 18 €

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