„[A]llen, die gern jemand anderes wären“, ist das neueste ins Deutsche übersetzte Werk von Dany Laferrière, „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“, gewidmet. Eine passendere Widmung für dieses rasant erzählte Buch voller Witz und Ironie könnte es kaum geben. Denn das Buch handelt davon, dass ein seit Jahren in Kanada lebender Schriftsteller, der ursprünglich aus Haiti stammt, mit erstaunlichen Ähnlichkeiten zum Autor beschließt, von einem Moment auf den anderen ein japanischer Schriftsteller sein möchte.
Zunächst erklärt der Schriftsteller zu Beginn des Textes seinem Verleger, der Titel seines neuen, noch nicht geschriebenen Buches solle „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ lauten. Der Verleger willigt sofort ein und hält ihm den Vertrag zum Unterschreiben hin. Doch der Buchtitel ist kein bloßes literarisches Spiel. Von nun an möchte der haitianisch-kanadische Autor tatsächlich zum japanischen Schriftsteller werden.
Das ist genau auch meine Methode. Ich erfinde etwas und daran glaube ich.
Und so macht er sich auf eine kleine Odyssee, um die japanische Kultur, Japan und das Japanische in Montreal kennenzulernen. Auf seiner Reise mit dem Ziel trifft er auf verschiedene Gestalten und macht unterschiedliche, mal erfreulichere, mal weniger erfreuliche Erlebnisse und Erfahrungen. Er trifft auf einen Koreaner am Square Saint-Louis, der ihm den Hinweis gibt, ins Café Sarajewo zu gehen, wo regelmäßig die japanische Musikerin Midori auftritt. Diese wird von einer Clique von Hofschranzen umgeben, welche Drogen nehmen und sich in Liebesintrigen gegenseitig zu überbieten versuchen. Hideko, Noriko, Fumi, Tomo, Haruki und Eiko lauten die Namen der Höflinge, die kaum zu unterscheiden sind.
Um der Kultur Japans näherzukommen, liest der Schriftsteller außerdem in allen möglichen Lebenslagen mit Konzentration und Begeisterung die Lyrik des japanischen Dichters Bashô (1644-1694), die er auf seine eigene Situation zurückbezieht. Die feinen Gedichte ziehen ihn in ihren Bann, als wären sie nicht 300 Jahre zuvor geschrieben worden.
Ich träumte davon, eines Tages in ein Buch hineinzuschlüpfen und nie mehr zurückzukehren. Das ist mit Bashô endlich eingetreten.
Als Noriko, eine der Frauen aus der Gruppe um Midori, bei dem Ich-Erzähler zuhause auftaucht, schlafen sie miteinander – und anschließend stürzt sich unvermittelt aus seinem Fenster, was zur Folge hat, dass die Polizei erscheint, um zu untersuchen, was es mit ihrem Tod auf sich hat. Schließlich kontaktiert ihn darüber hinaus das japanische Konsulat, welches wegen des Buchtitels „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ auf ihn aufmerksam wurde. Es möchte eine Auge auf seine Schreibaktivität werfen, da der Nationalstolz der Japaner durch dieses Unternehmen nicht gekränkt werden soll, zumal da ein Schwarzer dahinter steckt, der noch nie in Japan gewesen ist.
Im letzten Teil des Werks erlangt der Schriftsteller durch sein Vorhaben unverhoffte Berühmtheit: In den japanischen Medien und der dortigen Gesellschaft ist sein Projekt zu einem wahrhaftigen Ereignis geworden, welches eine Debatte ausgelöst hat und Nachahmerinnen und Nachahmer auf den Plan rief, die sich als „japanischer Fernsehmoderator“ oder als „madegassischer Schriftsteller“ bezeichnen. Dabei liegt eine ganz besondere Ironie darin, dass das Buch „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ bis zum Ende ein unvollendeter Entwurf und ein bloßer Titel geblieben ist, dessen Fertigstellung zwar ständig thematisiert, aber nicht weiter verfolgt wird.
Wie man vielleicht schon bemerkt, ist der Plot von „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ nicht ganz stringent. Die Handlung plätschert vor allem im letzten Teil etwas vor sich hin. Dort geht es zum Beispiel etwa um noch unbezahlte Mieten, unbarmherzige Hauswarte, das zufällige Wiedertreffen mit einem ihn verehrenden alten Freund samt dessen japanischer Partnerin – alles Dinge, die nichts mit dem eigentlichen Thema, der Verwandlung in einen japanischen Autor, zu tun haben. Manch eine der zahlreichen Episoden hätte freilich ausgespart wären können. Wie der Autor selbst schreibt:
Ein Film oder ein Buch fangen immer gut an. Am Anfang ist da eine Energie. Aber nach dem ersten Viertel geht es schief, jedes Mal aus dem gleichen Grund: Man lässt den Dingen nicht ihren natürlichen Lauf.
Zum Glück kehrt der Text am Schluss wieder zu seinem eigentlichen Thema zurück, das er auf eine elegante und charmante Weise abschließt.
So überzeugt das neueste Werk von Laferrière, das bereits 2008 im Original erschien, vor allem durch seinen Einfallsreichtum und Erfindungsgabe und durch sein Spiel mit kulturellen Anspielungen. Der Text geht humorvoll und ironisch mit der Frage der Identität, den Rollen, den Klischees und Vorurteilen um und erteilt eine klare Absage an die Authentizität, welche der Ich-Erzähler zutiefst verachtet.
Authentizität ist eine Obsession. […] Authentizität ist nur noch was für Hinterwäldler.
Kommentar zur Identitätspolitik
Nicht zuletzt werden in dem Buch Fragen der Identitätspolitik aufgeworfen und ihnen auf humorvoll-ironische Art eine Absage erteilt. Erkennbar wird dies in dem Dialog zwischen dem Schriftsteller und seinem Fischhändler aus dem Viertel, bei dem das Vorhaben, ein japanischer Schriftsteller zu werden, auf Widerstand stößt.
„Ich bin ein japanischer Schriftsteller.“
Jetzt schaute er mich wieder an.
„Was heißt das? Haben Sie die Nationalität gewechselt?“
„Nein, das ist der Titel meines neuen Buchs.“
Er warf seinem Gehilfen einen verunsicherten Blick zu […].
„Dürfen Sie das überhaupt?“
„Das Buch schreiben?“
„Nein, behaupten, Sie seien Japaner.“
„Das weiß ich nicht.“
An dieser Stelle wird klar, dass sich der Ich-Erzähler nicht um die politische Korrektheit seines Vorhabens sorgt. Die grundlegende identitätspoltische Forderung, nur derjenige sei berechtigt über sich und seine Anliegen zu sprechen, der betroffen sei, übergeht er. Auch der Vorwurf, er betreibe kulturelle Aneignung, der in der Frage des Fischhändlers „Dürfen Sie das überhaupt?“ zum Ausdruck kommt, scheint ihn nicht zu stören. Der Schriftsteller setzt Ironie und Humor, aber auch Unbedarftheit und Sorglosigkeit an die Stelle der Political Correctness.
Er betreibt einen spielerischen Umgang mit den Rollen, motiviert mehr durch eine kreative Laune, japanischer Schriftsteller sein zu wollen, als durch den tatsächlichen Wunsch, die japanische Nationalität anzunehmen. Ein derartig konsequent durchgeführter Rollentausch erinnert überraschend stark an die französische Komödie eines Molière oder Marivaux, die auf Verwechslung aufbaut.
Heiterer und frecher Ton
Der Text ist in knapp 60 kurze Kapitel und Episoden gegliedert. Der Ton klingt meist heiter, gewitzt und bisweilen frech, aber kann für kurze Momente auch ins Melancholisch-Nachdenkliche abschweifen. Der Ton des Werkes kommt dadurch zustande, dass sich Laferrières Sprache bisweilen auf einer alltäglich-umgangsprachlichen Ebene bewegt und dass er auch vor umgangssprachlichen Wendungen wie „fix und fertig“ oder „an die Gurgel springen“ nicht zurückschreckt. Sehr schöne und lesenswerte Literatur bleibt „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ dennoch. Mir hat der Witz und Esprit des Werks gut gefallen.
Über den Autor
Dany Laferrière ist ein haitianisch-kanadischer Schriftsteller. Er wurde 2015 in die Académie française aufgenommen. Laferrière wurde 1953 in Port-au-Prince in Haiti geboren, wo er auch aufwuchs. Er arbeitete zunächst als Journalist, musste aber wegen der politischen Lage aus seinem Heimatland nach Montreal fliehen. Dort fand er Arbeit als Fabrikarbeiter, ehe 1985 sein erster Roman „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben, ohne zu ermüden“ (Originaltitel: Comment faire l’amour avec un nègre sans se fatiguer) erschien. Für seinen Roman „Das Rätsel der Rückkehr“ (Französisch: L’énigme du retour) erhielt er 2009 den Prix Médicis. „Ich bin ein japanischer Schriftsteller“ stand im September 2020 auf Platz eins der SWR-Bestenliste.
Bewertung: 4/5
Bibliografische Angaben:
Bibliographische Angaben:
Autor: Dany Laferrière
Titel: Ich bin ein japanischer Schriftsteller
Übersetzung aus dem Französischen: Beate Thill
Verlag: Wunderhorn
Erscheinungsdatum: 01.07.2020
Seiten: 200
ISBN: 9783884236284
Kaufpreis: 22 €
Weitere Rezensionen:
aus-erlesen – Deutschlandfunk Kultur – SWR 2 – Süddeutsche Zeitung