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Aus dem Lyrikkabinett: „nach der illusion“ von Pauline Füg

Pauline Füg gehört seit vielen Jahren zu den Stimmen, die in Bayern und weit darüber hinaus den Poetry Slam geprägt haben. Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Psychologin, was sich in ihrem Schreiben immer wieder spiegelt. Schon ihr früheres Buch Zauberspruch für Verwundete (2013) war ein Versuch, Sprache zu öffnen, sie als Heilmittel und Bild zugleich einzusetzen. Ihr jüngster Gedichtband nach der illusion (2021) setzt dieses Nachdenken fort: auch hier geht es um Täuschungen, um Verwandlungen, um das, was das Bewusstsein sich vormacht und zugleich so dringend benötigt.

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Die Illusion ist bei Füg nie bloß falscher Schein. Sie ist ein Zwischenraum, in dem sich Verwunderung und Verunsicherung begegnen, ein Zauber, der das Alltägliche verschiebt. Dass die Autorin auch mit Demenzpoesie arbeitet, also mit Texten für und mit Menschen, deren Sprache sich verändert, gibt ihrem Schreiben eine besondere Tiefe. Man liest die Verse mit diesem Wissen im Hinterkopf – und versteht, dass hier nicht nur Sprachspielerei betrieben wird, sondern ein feines Austarieren von Wahrnehmung und Erinnerung.

Der Band ist klar komponiert, fast architektonisch. Zwei große Teile, einige Unterkapitel – ein Aufbau, der an eine mehrstöckige Torte erinnert, deren Schichten sich nach und nach freilegen lassen. Beim Lesen gleitet man sanft hindurch, findet Formulierungen, die plötzlich hervorspringen wie Überraschungsgäste. Es ist eine Lektüre, die sich angenehm entfaltet, die man schnell durchschreitet und doch an einzelnen Stellen innehält.

Die Gedichte rufen beim Lesen eine Irritation hervor, ein leises Stolpern im Kopf. Besonders der erste Teil, der zauberer braucht kokain, wirkt mit seinen drei Unterkapiteln fast kafkaesk komponiert: ein Zauberer tritt auf, ein Schlossherr, Figuren, die mehr Schatten als Gestalten sind. Sie erzeugen eine Stimmung, die eng und dunkel wirkt, als würde man sich in einem Raum bewegen, dessen Türen ins Offene führen könnten – die sich aber nie ganz öffnen. Wer der Zauberer ist, wer der Schlossherr, wer das „du“, wer das „wir“ sein sollen, bleibt ungeklärt, und gerade dieses Nicht-Wissen hält die Spannung aufrecht.

Auch die kursiv gesetzten Einschübe, die an Zitate erinnern, verstärken diese Unsicherheit. Sie wirken wie Splitter aus einer anderen Realität, vielleicht biographisch grundiert, vielleicht frei erfunden, in jedem Fall schwer einzuordnen:

der zauberer sagt: nichts
von alledem

der schlossherr sagt: da ist etwas
von der nacht abgerissen
kein schatten kein mond

ja ich weiß: wir könnten
hinter diesen mauern geheimgängen
finden aber haben nicht
den mut die fassade zu
ruinieren

Hier entsteht ein Spiel aus Nähe und Distanz, zwischen Offenlegung und Verschleierung, zwischen Fassade und Innerem, zwischen Show und Backstage. Für eine Autorin, die auf Bühnen zuhause ist, liegt genau in dieser Spannung vielleicht das Entscheidende.

Ein Schloss kann Heimat sein und zugleich goldenes Gefängnis. Eine Bühne ist Ort der Präsenz und zugleich Urteil der Zuschauenden. So liest man diese Texte auch als Reflexion über Echtheit, über Realität und Illusion. Über das, was sich zeigt – und das, was verborgen bleibt.

Denn auch Literatur ist eine Form von Inszenierung. Ein Auftritt, sorgfältig kuratiert, in den Raum der Öffentlichkeit gestellt. Und das Publikum, das wir sind, ist eingeladen, darüber zu entscheiden, wie es diese Inszenierung aufnimmt – als Zauber, als Täuschung oder als Moment des Erkennens.

Manchmal wirkt es in diesem Buch so, als sei das poetische Material sehr bewusst geordnet, fast gezügelt. Dadurch fehlt hier und da ein wenig noch der Ausbruch ins Unerwartete. Zugleich aber ist es genau diese Klarheit, dieses „coole“ Kalkül, das nach der illusion seinen eigenen Charakter verleiht. Füg schreibt in einem Ton, der nicht dem schnellen Zeitgeist folgt, sondern eine eigene, beinahe zeitlose Sprache behauptet.

Ein Band also, der sich nicht laut aufdrängt, sondern leise besticht. Wer sich darauf einlässt, entdeckt eine poetische Handschrift, die zwischen Psychologie und Poesie, zwischen Bühne und Buch ihre eigene Form gefunden hat.

Bewertung: 4/5

Infos zum Buch:

Pauline Füg: nach der illusion. Ein Lyrikzyklus in zwei Teilen. Lektora Verlag. 2021. 13,90 Euro. (über *Amazon, beim Verlag oder der Autorin)

*Affiliate-Link

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