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Eine (Verlags-)Vorschau auf den Herbst 2022

In letzter Zeit ist es ein wenig stiller geworden um mein Blog Der-Leser.net, was ich selbst ein wenig bedauere. Das liegt zum einen daran, dass sich bei mir persönlich etwas geändert hat, zum anderen daran, dass ich beruflich momentan viel zu tun habe (Unterrichten; Promovieren), und so kaum noch zum Schreiben über Bücher komme. Ich bin froh, dass ich immer noch Zeit finde, neben der Arbeit zu lesen, doch leider habe ich nicht mehr die nötige Ruhe und die Zeit, um zu jedem Buch, das ich momentan lese, meine Meinung im Netz kundzutun. Dabei lese ich immer noch relativ viel.

Tatsächlich hat sich mein Leseverhalten jedoch im Vergleich zu vor einem Jahr verändert: Ich lese wieder vermehrt französische zeitgenössische Literatur im Original und französische Klassiker im Original oder in Übersetzung, was meinem Interesse und meinem abgeschlossenen Studium in Romanistik entspricht. Zu der zeitgenössischen deutschen Literatur greife ich hingegen seltener. Da fremdsprachige Literatur genauso wie Klassiker in der deutschsprachigen Blogosphäre eher weniger besprochen wird, neige ich dazu, meine französischen und Klassikerlektüren unbesprochen für mich zu behalten, und, statt einem breiten Internetpublikum weiterzuempfehlen, was ich gelesen habe, nur einigen Freunden und Bekannten von meinen Lektüren zu berichten.

Mit diesem Beitrag über die Verlagsvorschauen für den kommenden Herbst möchte ich mein Blog nach längerer Zeit wieder einmal aktualisieren. Viel Spaß mit dem Überblick über das, was in der nächsten Lese-Saison auf uns zukommen wird!

Mohammed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen.

Der frankophone Autor Mohammed Mbougar Sarr aus dem Senegal, der heute in Paris lebt, wurde für dieses Werk, seinen vierten Roman, (frz. „La plus secrète mémoire des hommes“) im vergangenen Jahr mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet. Ein Grund also, dieses Buch auch in Deutschland zu verlegen und vor allem auch zu lesen.

Es handelt von einem Literaten aus dem Senegal, der in Paris ein legendäres Buch aus dem Jahr 1938 wiederentdeckt und sich auf die Spuren des Autors aus vergangenen Zeiten macht. Dabei diskutiert der Erzähler Fragen von Autorschaft, Literatur und Schriftstellerei im Exil.

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabrine Müller. Hanser Verlag. 28 €. Erscheinungsdatum: 24. November 2022.

Honoré de Balzac: Glanz und Elend der Kurtisanen.

Dieser Klassiker von Honoré de Balzac bildet den Nachfolgeroman des ebenfalls in der Reihe Hanser Klassiker erschienenen Romans Verlorene Illusionen dar. Während der Vorgänger von Melanie Walz übersetzt wurde, übernahm Rudolf von Bitter die Übersetzung von Glanz und Elend der Kurtisanen (frz. Splendeur et misère des courtisanes).

Beide Romane sind Herzstücke des großangelegten Lebensprojektes des Romanciers Balzac, welches er im Rückgriff auf einen Theaterterminus die Comédie humaine nannte. Darin soll der soziale Auf- und Abstieg der immer wiederkehrenden Figuren und deren psychosoziale Entwicklung dargestellt werden, die die Leser/innen in den ca. 90 Romanen des Projekts verfolgen können.

Glanz und Elend der Kurtisanen handelt von der Macht eines entfesselten Bürgertums und zugleich aber auch von der verarmten Schicht in der sich wandelnden französischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Und auch die Presse mit ihrem zunehmenden Einfluss spielt wie in anderen Werken Balzacs eine zentrale Rolle.

Aus dem Französischen von Rudolf von Bitter. Hanser Verlag. 42 €. Erscheinungsdatum: 26. September 2022.

Nils Minkmar: Montaignes Katze.

Nils Minkmar ist ein Journalist und Publizist, der schon zu einer großen Bandbreite verschiedener Themen publiziert hat – von Frankreich (Das geheime Frankreich) bis zur deutschen Politik (Der Zirkus: ein Jahr im Innersten der Politik). Sein neuestes Werk hat, wie bereits im Titel deutlich wird, erneut einen Frankreich-Bezug, denn es geht um ein historisches französisches Sujet, das auf leicht zugängliche und anschauliche Weise vermittelt wird.

1584 reitet ein mysteriöser Besucher zum Schloss des französischen Renaissance-Schriftstellers Michel de Montaigne, der gerade mit seiner Familie Karten spielt. Damit beginnen für den Autor der Essais, mit denen Montaigne eine neue Gattung in der europäischen Literatur begründet hat, eine Zeit, in der er und seine jüngere Frau Françoise versuchen müssen, den Protestanten Henri de Navarre zum souveränen Herrscher Heinrich IV. zu machen, der imstande sein soll, das religiös gespaltene Land durch seine Herrschaft zu einen.

Fischer Verlage. 26 €. Erscheinungsdatum: 7. September 2022.

Paul Maar: Ein Hund mit Flügeln.

Der Schriftsteller Paul Maar ist spätestens seit seinem Erfolg-gekrönten autobiographischen Werk Wie alles kam: Roman meiner Kindheit aus dem Jahr 2020 nicht mehr nur als Vater der Sams-Reihe bekannt, sondern auch als einfühlsamer und aufrichtiger Chronist seines eigenen Lebens. An diesen Erfolg schließt Maar nun mit der Sammlung mit dem bemerkenswerten Titel Ein Hund mit Flügeln an, ein Buch, in dem laut Untertitel Erfundenes und Erlebtes vermengt werden.

Der Erzählband ist eine Rückschau und eine Sammlung, denn sie vereint Unveröffentlichtes aus einem langen Autorenleben: vor allem Erzählungen, aber auch Reiseerinnerungen, Gedichte, Zeichnungen. In jedem Fall kommt man dem Autor Paul Maar mit diesem Band ein wenig näher. Die Erzählungen „entdecken das Komische im Tragischen und das Ernste im Heiteren, das Kind im Erwachsenen.“ (Verlagstext)

Fischer Verlage. 26 €. Erscheinungsdatum: 26. Oktober 2022.

Daniele Mencarelli: Für die Kämpfer, für die Verrückten.

Daniele Mencarelli ist ein italienischer Dichter und Romanschriftsteller, der zunächst als Poet in Italien bekannt wurde. Für seinen zweiten Roman, der nun als Für die Kämpfer, für die Verrückten auf Deutsch erscheint, hat er in seinem Heimatland zahlreiche Preise gewonnen. Es handelt sich um eine sensible und intime Romanerzählung über die Suche nach einem Lebenssinn, die Sehnsucht nach Normalität und gesellschaftliche Normen.

Die Hauptfigur des Romans namens Daniele, die den gleichen Vornamen trägt wie der Autor, erlebt manchmal Tage, an denen ihm alles über den Kopf wächst, weil die zahllosen Eindrücke der Welt um ihn herum auf ihn einprasseln. Eines Tages wacht er von einem Moment auf den anderen in der Psychiatrie auf, denn nach einem Wutausbruch wird er für sieben Tage zwangseingewiesen. Mit seinen fünf Bettgenossen kommt er von Tag zu Tag mehr ins Gespräch. In der Psychiatrie angenommen stellt er sich die Frage nach der Normalität, denn eigentlich möchte er nur eines: „normal“ sein. Aber was heißt das schon?

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Fischer Verlage. 24 €. Erscheinungsdatum: 12. Oktober 2022.

Mithu Sanyal: Über Emily Brontë.

Mithu Sanyal hat 2021 mit ihrem Roman Identitti von sich reden gemacht, in dem sie sich mit Fragen der Identität und den Wirrungen der Identitätspolitik befasst hat. Nun erscheint ein neues Werk aus ihrer Feder, mit einer völlig veränderten Thematik. Denn Sanyal beschäftigt sich in Über Emily Brontë mit dem Leben und Werk Emily Brontës, der Autorin des Romans Sturmhöhe, deren Weiblichkeit zu Lebzeiten infragegestellt wurde.

Für Sanyal ist Brontës Biographie und Werk Anlass, sich mit der eigenen Erfahrung von Fremdheit auseinanderzusetzen und dabei zu reflektieren, inwiefern ihr die Lektüre des Werks von Brontë half, mit schwierigen oder herausfordernden Momenten in ihrem eigenen Leben umzugehen: „Beim Sex, beim langweiligsten Urlaub der Welt, bei angeheirateten englischen Verwandten, die sich nach dem Empire zurücksehnen, und beim Planen der Revolution. Denn darum geht es vor allem in diesem Buch: um das Wunder, wie ein mehr als 170 Jahre alter Roman auf alle wesentlichen Fragen von heute zu Gender, Race, Class und Geistern klare, aktuelle, zukunftsweisende Antworten hat.“ (Verlagstext)

Kiepenheuer & Witsch. 20 €. Erscheinungsdatum: 6. Oktober 2022.

Judith Holofernes: Die Träume anderer Leute.

Judith Holofernes war von 2000 bis 2012 die Sängerin der bekannten deutschen Band Wir sind Helden, die damals einen Erfolg nach dem anderen feierte und auf zahlreichen Festivals und allen großen Bühnen auftrat. Fast 20 Jahre lang war sie im Musikgeschäft. In dem biographisch angelegten Buch Die Träume anderer Leute, dessen Titel ein Lied des letzten Wir sind Helden-Albums Bring mich nach Hause aufgreift, wagt sie nun einen Blick zurück auf diese Zeit zwischen Album, Promotion und Tour und erweist sich als eine feinsinnige, klare Erzählerin mit ganz eigenem Witz.

Kiepenheuer & Witsch. 24 €. Erscheinungsdatum: 8. September 2022.

Édouard Louis: Anleitung, ein anderer zu werden.

Édouard Louis ist durch seinen ersten Roman Das Ende von Eddy (frz. En finir avec Eddy Belleguele) in Frankreich und im Ausland bekannt geworden, in dem er seine Herkunft aus einer armen Familie im deindustrialisierten Norden Frankreichs und seinen Versuch, eben diese Herkunft hinter sich zu lassen, um seine eigene Homosexualität akzeptieren und leben zu können, thematisierte.

In seinem neuen Roman geht es dem Autor darum, seinen bisherigen Weg zu reflektieren und eine Zwischenbilanz zu ziehen. Denn mit Mitte zwanzig hat Édouard Louis bereits mehrere Leben geführt: die Kindheit in Armut, die Flucht nach Paris, die Scham über die eigene Herkunft, die Annahme eines neuen Namens. Édouard Louis hat geschrieben, um seinen Weg zu finden und mit seinem Schicksal umzugehen, doch er hinterfragt in seinem neuen Roman auch seine radikale Selbstveränderung, die nie ganz vollendet ist. „Édouard Louis hat ein großes Buch geschrieben darüber, was man zurücklässt, wenn man bei sich selbst ankommt.“ (Verlagstext)

Aus dem Französischen von Sonja Finck. Aufbau Verlag. 24 €. Erscheinungsdatum: 6. September 2022.

Tillie Olsen: Was fehlt/Ich steh hier und bügle.

Von Tillie Olsen, einer Tochter jüdischer Einwanderer in Nebraska, deren Geschichten in den USA rasch ausgezeichnet wurden, erscheinen beim Aufbau im Herbst zwei Werke: der Essayband „Was fehlt“ und der Erzählband „Ich stehe hier und bügle“.

In „Was fehlt“ reflektiert Olsen anhand zahlreicher Aussagen von Schreibenden, wie das Schreiben und kreative Schöpfen seit jeher unterdrückt wird. Dabei nimmt sie zum Beispiel Autor/innen wie Melville und Kafka, aber vor allem auch Virginia Woolf, Janet Lewis und Ann Petry in den Blick, deren sexuelle Orientierung oder Hautfarbe zu Unterdrückung, Ausgrenzung und Isolation führen. Olsen schafft Aufmerksamkeit für die Leerstellen und Lücken in der Literatur.

Der Erzählband „Ich steh hier und bügle“, der 1961 in den USA erschien, wurde dort begeistert aufgenommen. Tillie Olsen erhielt dafür als unbekannte Autorin den O.-Henry-Preis. In dem Band richtet die Schriftstellerin ihre Aufmerksamkeit auf das Leben benachteiligter Familien und insbesondere auf Frauen, Mütter und Töchter.

Übersetzung aus dem Englischen von Adelheid Dormagen, Jürgen Dormagen et al. Aufbau Verlag. 22 €/20 €. Erscheinungsdatum: 11. Oktober 2022.

Ralf Rothmann: Die Nacht unterm Schnee.

Ralf Rothmann ist ein deutscher Schriftsteller, Dichter und Dramatiker, dessen Werke auch im Ausland rezipiert wurden. In Im Frühling sterben hat er den Weg zweier 17jähriger Melker während des Zweiten Weltkriegs erzählt, von denen einer desertiert. In seinem neuen Roman Die Nacht unterm Schnee geht es nun um die Zeit nach 1945, als die verwundete 16jährige Elisabeth, ein Mädchen vom Land, von einem russischen Deserteur gepflegt wird.

Rothmann erzählt die Geschichte der Elisabeth in der Nachkriegszeit, die mit dem Trauma des Kriegs und der Vergewaltigung auf ihre Weise umgeht, nämlich indem sie sich mithilfe von Rummeln und Feiern tanzend ablenkt, um nicht zur Besinnung zu kommen. Und doch kommt in ihrem unbedingten Willen zum Leben, so verzweifelt er sein mag, auch die Bereitschaft und der Wille zur Liebe zum Ausdruck.

„Nach den vielfach übersetzten Romanen Im Frühling sterben (2015) und Der Gott jenes Sommers (2018) schließt der Autor mit Die Nacht unterm Schnee seine Trilogie über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit in Deutschland ab.“ (Verlagstext)

Suhrkamp Verlag. 24 €. Erscheinungsdatum: 18. Juli 2022.

Marcel Proust: Die fünfundsiebzig Blätter und andere Manuskripte aus dem Nachlass.

Marcel Prousts Hauptwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (frz. A la recherche du temps perdu) wurde in den vergangenen Jahren durch einige Erscheinungen aus dem Nachlass ergänzt, etwa die Carnets und die Soixante-quinze Feuillets. Letztere sind es, die im Januar in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp erscheinen werden und damit auch dem Publikum einen Einblick in die Urform der Suche/Recherche ermöglichen.

Denn die fünfundsiebzig Blätter enthalten viele aus der Recherche bekannte Szenen und Figuren in leicht veränderter Form, nämlich in der Urfassung, sodass man die Suche noch einmal neu entdecken kann: die Erinnerung „an die geliebte Mutter, das Kindheitsdrama des Zubettgehens, die jungen Mädchen am Strand. Proust ist erkennbar noch auf der Suche: nach den literarischen Mitteln, sein Leben zu erzählen, sein unendliches autobiographisches Material zu organisieren.“ (Verlagstext)

Aus dem Französischen von Andrea Springler/Jürgen Ritte. Suhrkamp Verlag. 28 €. Erscheinungsdatum: 16. Januar 2023.

Fernando Aramburu: Die Mauersegler.

Der spanische Autor Fernando Aramburu wurde im Baskenland geboren und lebt seit Mitte der 80er Jahre als Spanisch-Lektor in Hannover. Für seine Romane wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In seinem neuen Roman Die Mauersegler geht es um den Anti-Helden Toni, der den Entschluss fasst, seinem Leben in genau 365 Tagen ein Ende zu setzen. Am 31. Juli beginnt das letzte Jahr, der Roman hat genau ein Kapitel für jeden Tag des verbleibenden Jahres.

„Die ersten Monate sind für Toni geprägt von Erinnerungen an seine Familie in der wechselhaften spanischen Geschichte, Beobachtungen seiner Landsleute und Erlebnissen, die ihn in seiner Weltsicht bestärken. Doch dann kommt es zu einer unerwarteten Begegnung mit einer Frau, deren Hund auch Toni heißt. Ein Zeichen! Und mit einem Mal gerät Tonis Plan ins Wanken.“ (Verlagstext)

Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Rowohlt Verlag. 28 €. Erscheinungsdatum: 13. September 2022.

Dorota Masłowska: Bowie in Warschau.

Dieser Roman von der polnischen Schriftstellerin, Dramatikerin und Journalistin Dorota Masłowska handelt von David Bowies Zeit in Warschau im Mai 1973. Der Weltstar Bowie reist nach Warschau, geht in einen Buchladen und kauft dort Platten mit polnischer Volksmusik, die ihn später zu dem Lied Warszawa inspirieren.

Mit dieser wahren Begebenheit beginnt Masłowskas Roman, der auf unterhaltsame Art die Pop-Musik und realen Sozialismus auf Konfrontationskurs bringt. Denn Bowie bringt eine Reihe von Verwechslungen und Verwicklungen in Gang. „Mit ihrem ganz eigenen Sound zeichnet Dorota Masłowska ein enorm komisches Gesellschaftsbild voller Sprachwitz und schwarzem Humor – ein literarisches Feuerwerk.“ (Verlagstext)

Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Verlag. 22 €. Erscheinungsdatum: 13. Dezember 2022.

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