Christian Schloyer gehört seit vielen Jahren zu den bekannten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik. 1976 in Erlangen geboren, vielfach ausgezeichnet – u. a. mit dem Open-Mike-Preis, dem Leonce-und-Lena-Preis und dem Lyrikpreis München – hat er sich durch seine sprachspielerische und technisch-versierte Dichtung einen festen Platz erarbeitet. Schon sein Band JUMP’N’RUN (2017) überraschte mit der Idee, Gedichtzyklen als Computerspiel-Level zu gestalten. Mit VENUS-MARS, einem Wendebuch, setzt er dieses Konzept nun fort und eröffnet ein poetisches Abenteuer zwischen Science-Fiction, Sprachwitz und Gesellschaftskritik.
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Wer den Band aufschlägt, landet mitten im Setting: Nach einer Notlandung gilt es, sich als Überlebende:r auf dem MARS zu behaupten. Der Vorsatz zeigt eine Karte mit einem 7×7-Raster, das wie ein Spielfeld wirkt. Auf jeder Seite warten neue Optionen – links, rechts, hoch hinaus. Die Gedichte verhalten sich wie Entscheidungspfade in einem textbasierten Adventure Game aus den 70er Jahren: Colossal Cave Adventure oder Zork lassen grüßen.
Doch das Spielerische ist nur die Oberfläche. Der MARS (immer in Versalien, wie ein Mysterium) wird als „äußerst unwirtliche[…] und ungewisse[…]“ Umgebung beschrieben, ein Spiegel für irdische Probleme: Klimakrise, soziale Ungleichheit, toxische Maskulinität. Apokalyptische Bilder erinnern an Blade Runner, gleichzeitig durchzieht eine melancholische Hoffnung den Band: die Sehnsucht nach einer anderen, vielleicht besseren Zukunft.
Sprachwitz und Ernst zugleich
Schloyer ist ein Meister der sprachlichen Verfremdung, die ans Technologische des Bandes erinnert. Neologismen, Auslassungen in eckigen Klammern, kursiv und grau gesetzte Einschübe: seine Texte sind voller Brüche, Verdichtungen und unerwarteter Verknüpfungen. Sprache selbst wird hier zum Spielmaterial, das neu montiert und in ungewohnte Konstellationen gebracht wird.
Im Klappentext bezeichnet sich Schloyer als „Syn:poet“, und diese Selbstbeschreibung ist treffend. Seine Gedichte vernetzen Bedeutungen, lassen alte Wörter und Bilder in neuen Kontexten aufleuchten und erschaffen so ein poetisches Geflecht, das man nicht in einer linearen Lesart auflösen kann. Stattdessen lädt er dazu ein, Umwege zu gehen.
VENUS als Gegenraum
Das Wendebuch-Prinzip eröffnet schließlich eine zweite Perspektive: Wer den Band umdreht, betritt die VENUS. Hier verschiebt sich der Blick, Geschlechterrollen und Pronomen werden infrage gestellt, Binaritäten aufgebrochen. Schon die Schreibweise „man(n)“ oder die ironische Brechung von Alltagsfloskeln verdeutlichen, dass Schloyer auch die Geschlechtlichkeit nicht als festes System akzeptiert, sondern als offene Variable poetisch verhandelt.
Fazit
VENUS-MARS ist kein leichtfüßiger Band für zwischendurch, sondern ein sprachliches Abenteuer, das Aufmerksamkeit, Geduld und Spielfreude verlangt. Wer sich darauf einlässt, entdeckt eine Lyrik, die gleichermaßen politisch wie verspielt ist, voller Ernst, aber auch voller Humor. Christian Schloyer erweist sich darin einmal mehr als einer der interessantesten Stimmen der Gegenwartslyrik – ein Syn:poet, der die Möglichkeiten der Sprache bis an ihre Grenzen auslotet und dabei ganz neue Spielräume eröffnet.
Bewertung: 4,5/5
Infos zum Buch:
Christian Schloyer: VENUS-MARS. Gedichte. Poetenladen. 2024. 19,80 Euro. (über *Amazon oder den Verlag)
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