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„Die Tänzerin“ von Patrick Modiano

Der französische Literaturnobelpreisträger und Spiegel-Bestsellerautor Patrick Modiano hat wieder ein neues Buch veröffentlicht. Die Tänzerin – ein schmaler Roman – handelt, natürlich, erneut von einer Gruppe von Personen in Paris, in deren Zentrum diesmal eine rätselhafte Balletttänzerin steht. Der Ich-Erzähler, ein Schriftsteller wie Modiano selbst, lernte sie vor fünfzig Jahren kennen, als er noch von Chansontexten lebte. Nun berichtet er aus der Gegenwart über eine schwebende Beziehung, die getragen wird von der Kunst, der Erinnerung, dem, was vielleicht war.

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Der von Elisabeth Edl erneut kongenial ins Deutsche übertragene Text bewegt sich, wie so viele Romane Modianos, in einem Zwischenzustand. Vieles bleibt vage. Über die Figuren erfahren wir wenig. Wir müssen uns beim Lesen immer wieder neu orientieren, müssen Informationen aus dem Bericht des Schriftstellers ziehen, der eine eigene Perspektive hat, die nicht immer verlässlich erscheint. Es entsteht eine Abfolge von Momentaufnahmen, von Aperçus, die sich zu einem Bild zusammensetzen: von Paris, einem Gesamtbild, das aus Erinnerungen besteht.

Die Menschen, so zeigt Modiano, verändern sich. Sie werden andere. Und vielleicht ist es genau diese Erkenntnis, die er mit seinen Romanen über das unsichere Erinnern vermitteln will: dass alles in Bewegung bleibt. Auch in „Die Tänzerin“ begegnen uns eine Reihe von Personen – Pierre, Verzini, die Tänzerin, Kniaseff. Wieder spielt Modiano mit Namen, die italienisch klingen, manchmal ein wenig absurd, ein bisschen zu fremd, um real zu sein. Er liebt dieses kleine Verwirrspiel – genau wie die vielen Orts- und Straßennamen, die sich im Laufe der Lektüre so stark verdichten, dass man sie kaum mehr zuordnen kann. Und gerade dadurch entsteht eine eigentümliche Authentizität, die im Kontrast zur hohen Literarizität des Textes steht.

Modiano ist ein Meister der feinen Beobachtung. In „Die Tänzerin“ zeigt er uns auch das moderne Paris – mit seinen Touristenmassen, die die Boulevards überrennen, die in Grüppchen durch die Straßen ziehen und dabei das Bild der Stadt dominieren. Der Erzähler scheint sich das alte, ruhigere, vermeintlich bessere Paris zurückzuwünschen. Doch war Paris je ruhig? War es nicht immer schon eine Metropole? Vielleicht ist auch das nur Teil des Spiels – denn Modiano, darin bleibt er sich treu, ist ein Meister der Ambivalenz, des Dazwischen, des Nicht-ganz-Gesagten. Und womöglich ist manches in seinem Text auch ironisch zu verstehen.

Vieles an „Die Tänzerin“ hat mich beim Lesen irritiert, ist mir aufgestoßen. Aber vielleicht ist das genau das, was Literatur soll: verstören, anstoßen, verwirren. Am Ende steht ein Roman, der kurz geraten ist, vielleicht zu kurz. Sicher nicht Modianos stärkster. Aber einer, der, wenn man sich auf ihn einlässt, durchaus Wirkung entfaltet – langsam, tastend, leise.

Bewertung: 3,5/5

Patrick Modiano: Die Tänzerin. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Hanser Verlag. 2025. 20 Euro.

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