Milan Kundera ist am 11. Juli dieses Jahres in Paris gestorben. Seine Bücher, allen voran „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, werden bleiben. Ich habe mit mit „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ (frz. „La fête de l’insignifiance“) nun eines seiner letzten Bücher vorgenommen, das 2015 in Deutschland erschien. Auch dieses Buch von Kundera feiert das Leichte, Humorvolle, Unernste, ohne dabei die tragischen Seiten des Lebens auszublenden.
Der Roman, wenn man dieses kurze Büchlein überhaupt so nennen will (der Verlag tut es), handelt von vier mittelalten Männern in Paris, die sich im Jardin du Luxembourg und zu Hause bei Charles begegnen, denn Charles feiert eine Cocktailparty. Doch damit ist die Handlung bei weitem nicht umrissen. In sehr kurzen Kapiteln mit an sich schon unterhaltsamen Überschriften, die aber nicht immer unbedingt zum Inhalt der Kapitel passen, nimmt uns der Erzähler mit in eine Reise durch ein Paris mitten im Juni.
Dort hallen ins Lächerliche gezogene Erinnerungen an die Sowjetunion, Stalin und dessen Freunde nach und auch sexuelle Lust, Erotik und Gedanken an erotische Zonen spielen eine Rolle. Was klingt wie das Fantasma eines alten Mannes, liest sich wunderbar leicht, humorvoll und unterhaltsam. Kunderas Erzähler lässt seine Figuren seltsam sein, sich seltsame Geschichten ausdenken und in der Romanhandlung irrlichtern.
Ein Protagonist, d’Ardelo, erfindet zu Beginn des Buches eine Krebserkrankung, für die er Mitleid bekommt, weiß aber selbst nicht, warum er es getan hat. Im selben Augenblick lädt er sein Gegenüber Roman zu einer Geburtstagsfeier bzw. Cocktailparty ein. Eine andere Figur, Caliban, gibt sich auf der besagten Party als Pakistani aus, weil er seinen Beruf als Schauspieler nicht mehr ausüben kann und wenigstens in seiner Freizeit noch gern in eine Rolle schlüpfen möchte. Deshalb spricht er ein Kauderwelsch und unterhält sich mit den leichtgläubigen Partygästen nur auf „Pakistanisch“.
Das Spiel mit den Grenzen und Identitäten beherrscht Kundera. Er ist ein Grenzgänger, der 1975 ins französische Exil ging, dort aber einen Erfolg mit seinen Büchern feiern konnte. Doch innerlich fühlte sich Kundera weiterhin der Heimat verbunden, die in vielen seiner Romane eine Rolle spielt, auch in „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ und „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“. So ist im „Fest der Bedeutungslosigkeit“ immer wieder von einer Anekdote zu Stalin die Rede, die Charles in der Geschichte Caliban weitererzählt:
Eines Tages beschließt er, auf die Jagd zu gehen. Er zieht einen alten Parka über, schnallt Skier an, nimmt eine Flinte und legt dreizehn Kilometer zurück. Da sieht er vor sich auf einem Baum Rebhühner sitzen. Er bleibt stehen und zählt. Es sind vierundzwanzig. Aber was für ein Pech! Er hat nur zwölf Patronen dabei! Er schießt, tötet zwölf, dann kehrt er um, fährt die dreizehn Kilometer zurück nach Hause und holt noch ein Dutzend Patronen. Wieder legt er die dreizehn Kilometer zurück, um wieder bei den Rebhühnern anzukommen, die noch immer auf demselben Baum sitzen. Und er tötet sie alle…
Milan Kundera, „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“
Angeblich stammt diese Geschichte aus dem Buch „Chruschtschow erinnert sich“, das schon „vor sehr, sehr langer Zeit“ in Frankreich erschienen sei. Und noch eine andere Anekdote erzählt Kundera über Stalin in seinem unverwechselbar leicht-humorigen Ton. So hätten die Mitarbeiter von Stalin am Tag, an dem dieser die Geschichte von den 24 Rebhühnern erzählt habe, auf der Toilette über ihn gelästert, denn niemand habe dieses „Histörchen“ geglaubt. Alle dachten sich, er habe gelogen. Nur eines zogen sie nicht in Erwägung: Dass er einen Witz machte. Denn Witze kannte, so Charles, die Umgebung von Stalin nicht.
Eine weitere Kuriosität in „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ ist die Leidenschaft Alains für den Bauchnabel. Er definiert verschiedene Zonen der Erotik, darunter die Schenkel, den Hintern und die Busen, doch seiner Ansicht nach wird dabei oft der Bauchnabel zu Unrecht außen vor gelassen. Alain beschäftigt sich seit Monaten, wenn nicht gar seit Jahren, so der kommentierende Erzähler, mit dem Problem des Bauchnabels, das ihn fasziniert und umtreibt. Wenn er durch die Straßen schlenderte, dachte er oft an den Nabel. Dahinter steckt die letzte Begegnung mit seiner Mutter, die damals intensiv auf seinen Nabel starrte, auch wenn sie sonst nicht viele Worte wechselten.
Im „Fest der Bedeutungslosigkeit“ geht es nicht nur um Bedeutungslosigkeit, nicht nur um Belangloses, aber wir bewegen uns häufig im Bereich des Komischen und Absurden, wie vermutlich bereits klar wurde. Wir erleben die Geschichte einer Freundschaft zwischen vier Männern, die gemeinsam eine Feier ausrichten und danach ihrer Wege gehen. Diese Freunde, D’Ardelo, Alain, Roman und Charles, sprechen über weite Teile des Buches im Dialog miteinander, sodass den undenkbarsten Theorien, Anekdoten und Ideen wie zum Beispiel der vom Bauchnabel Raum geboten wird. Der Erzähler selbst tritt eher in den Hintergrund.
Das „Fest der Bedeutungslosigkeit“ setzt auf die Kraft des Leichten, das Schwere zu ertragen, auf den Humor als Heilmittel, um die Unbill des Lebens auszugleichen oder wenigstens doch zu lindern. Gegen Ende des Werkes hält Ramon eine Rede über die Bedeutungslosigkeit, die als metapoetisch verstanden werden darf. Darin heißt es: „Jetzt erscheint mir die Bedeutungslosigkeit in einem ganz anderen Licht als damals, die Bedeutungslosigkeit, mein Freund, ist die Essenz der Existenz.“ – Eine Anspielung auf den Existenzialismus, in dem die Essenz nach der Existenz kommt und gewählt werden muss:
[Die Bedeutungslosigkeit] ist überall und immer bei uns. Sie ist sogar gegenwärtig, wo niemand sie sehen will: in den Greueln, in den blutigen Kämpfen, im schlimmsten Unglück. Das erfordert Mut, sie unter so dramatischen Umständen zu erkennen und bei ihrem Namen zu nennen. Aber es geht nicht nur darum, sie zu erkennen, man muss sie lieben […].
Milan Kundera, „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“
Für die Leichtigkeit der Bedeutungslosigkeit steht auch eine Feder, die während der Cocktailparty eine Zeitlang durch den Raum schwebt und die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zieht. Diese Feder finden wir auch auf dem Cover des Buches wieder.
Angesichts von Kriegen, autoritären Tendenzen und Nationalismus mag es nicht wenigen von uns manchmal schwerfallen, sich auf Leichtigkeit, Heiterkeit und Bedeutungslosigkeit einzulassen. Man konsumiert die Nachrichten und hört Schreckensmeldungen, die die Stimmung trüben. Milan Kundera zu lesen, ist wie eine kleine Ode an die Freude, eine Auszeit vom Alltäglichen, eine Leichtigkeit, die uns belebt und zum Unernst erzieht, ohne das Leben auszublenden. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung!
Danke auch für die hervorragende Übersetzung!
Bewertung: ⭐⭐⭐⭐⭐ 5/5
Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit. Aus dem Französischen von Uli Aumüller. Hanser Verlag. 16,90 €.
Hallo Florian,
Deine Würdigung zum Abschied von Milan Kundera freut mich.
So ganz bedeutungslos war er ja wohl nicht – interessant, wie er dies dialektisch wendet.
Sein Prass auf Stalin ist nachvollziehbar. Nachdem „Radio Eriwan“ kalt gestellt ist, verstehe ich den Humor oder Witz von der Anekdote zur Rebhuhn-Jagd leider nicht.
Was der Nabel bedeuten kann, hatte Elisabeth Bronfen eingehend beschrieben:
„Das verknotete Subjekt. Hysterie in der Moderne. Übersetzt von Nikolaus G. Schneider. Verlag Volk und Welt, Berlin 1998“
Vielleicht hat Kundera darauf Bezug genommen?
Herbstliche Grüße
Bernd