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„Der Magier im Kreml“ von Giuliano da Empoli

In Frankreich tritt Giuliano da Empoli seit dem Erscheinen des Putin-Buches im April 2022 „Der Magier im Kreml“ als Russland-Kenner im TV auf, da das Thema mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs auf allen Kanälen ist. Der Roman lässt in fiktiver Weise den engsten Berater des russischen Präsidenten zu Wort kommen, der tiefe Einblicke in den Kreml und die russische Politik sowie Seele gewährt.

Wer ist der Magier im Kreml, der Giuliano da Empolis Werk seinen Titel verleiht? Auf diese Frage muss jeder selbst eine Antwort finden. Denn es gibt zwei Hauptfiguren: einmal die graue Eminenz Wadim Boranow, die Beraterfigur, die den russischen Präsidenten in allen Fragen begleitet und an die Macht gebracht hat (Vorbild für ihn ist Wladislaw J. Surkow), sowie den „Zaren“ selbst, wie Putin im Roman häufig genannt wird, nachdem er einmal an die Macht gekommen ist.

Doch fangen wir von vorn an: Wadim Boranow ist in einem nach Europa orientierten russischen Haushalt des Großbürgertums aufgewachsen. Man las französische Literatur, reiste nach Paris, sprach Fremdsprachen, und der Großvater empfahl dem Enkel Bücher aus seiner Privatbibliothek zur Lektüre. Diese Umgebung schuf einen kultivierten, kunstsinnigen jungen Mann, der aber doch stets über die nötigen Instinkte verfügt, wenn es nötig ist.

Er wächst im Russland der 90er Jahre auf, als die große Freiheit (aber auch Chaos) herrscht, weil der Staat sich zurückhält. Boranow ist zunächst Teil der Moskauer Theaterszene und geht dann, als es für ihn dort nicht mehr weitergeht, zum Fernsehen, weil man ihm einen Beruf als Produzent bei einer TV-Show anbietet, die um ein Vielfaches besser bezahlt ist als die Arbeit am Theater. Der Kunstsinn ist schön, aber zunächst kommt das Brot.

Durch seine Arbeit beim Fernsehen lernt er den Milliardär und Oligarchen Boris Beresowski kennen, der ihm anbietet, noch einen Gang hochzuschalten. Jelzin ist im Sterben und bisher ist noch keine Nachfolge in Sicht. Daher will Beresowski bis zu den nächsten Wahlen eine Partei aus dem Boden stampfen und einen Präsidentschaftskandidaten ausfindig machen, den er mit Boranow zusammen großmachen, begleiten und beraten will. Das Auge fällt dabei auf den KGB-Chef Putin, der bislang außer unter Geheimdienstlern völlig unbekannt ist, aber als zuverlässig und pflichtbewusst gilt.

Die beiden besuchen Putin in seinem Büro – und schnell wird klar, er hat Interesse. Doch bei einem weiteren Gespräch zwischen Boranow und Putin macht dieser unmissverständlich klar, dass er Beresowski, den Milliardär, raushalten möchte, die Sache soll sich nur zwischen Boranow und Putin abspielen. Putin fordert von Anfang an Gefolgschaft, er selbst möchte als unhinterfragter Anführer in die Wahlen gehen, der für Russland einen neuen Kurs einleitet, nämlich den Kurs der Ordnung. Der Milliardär Beresowski würde da nur stören und zu viel Mitsprache fordern.

Dass Wörter wie Ordnung und Stärke für Männer wie Putin nur euphemistische Umschreibung für Autoritarismus und Diktatur sind, sieht man aus der Entfernung eines westlichen Beobachters, der das Weltgeschehen aus der Sicherheit einer gefestigten Demokratie betrachtet. Doch wie ging es den Menschen, die Putin zu Beginn gewählt haben? Haben sie wirklich geglaubt, dass sie einen starken Mann brauchen, der sie regiert? Wollten sie an einen neuen Aufbruch nach Jahren der Unsicherheit glauben – und was halten diese Menschen heute von Putin, nachdem er einen Krieg in ihrem Nachbarland angezettelt hat?

Auf alle diese Fragen gibt das Buch „Der Magier im Kreml“ keine Antworten, es liefert uns nur Ansätze, Erklärungshilfen, Heuristiken, um Russland und die russische Seele besser zu verstehen. Nach der Lektüre hat man den Eindruck, man hat ein wenig mehr verstanden, warum manches dort so gelaufen ist. Dabei macht sich der Autor niemals mit der Sache Putins gemein, sondern beobachtet sie immer aus der angenehmen kritischen Distanz dessen, der seine politische Laufbahn Revue passieren lässt. Denn Boranow erzählt in der Rückschau für einen westlichen Journalisten seine Karriere als engster Berater Putins.

Es geht um die politische Laufbahn Putins und seine verschiedenen Stationen, immer begleitet von Boranow alias Wladislaw Jurjewitsch Surkow (dieser hat von 2013 bis 2020 Putin beraten): um die Orangene Revolution, um die Angst vor der NATO und den Amerikanern, um die Annexion der Krim, um die Olympischen Spiele von Sotschi, um den Oligarchen Chodorkowski, der eingesperrt wird, um den Oligarchen Beresowski, der ins britische Exil muss, und um Sanktionen durch die USA und die EU.

Alles sehr aktuelle und sehr brennende Themen, die einen Nerv der Zeit treffen. Man liegt mit diesem Buch nicht falsch, wenn man Hintergründe über Putin, Russland und die Ukraine erfahren möchte. Eine Lektüre, die zwischen den Kulturen vermittelt, anstatt die Fronten zu verhärten, und die zum passenden Zeitpunkt kommt.

Eine uneingeschränkte Leseempfehlung!

Bewertung: ⭐⭐⭐⭐⭐ 5/5

Giuliano da Empoli: Der Magier im Kreml. Aus dem Französischen von Michaela Meßner. C. H. Beck Verlag. 25 €.

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