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„Die Wäscheleinen-Schaukel“ von Ahmad Danny Ramadan

Der Schriftsteller Ahmad Danny Ramadan ist 2012 von Syrien nach Kanada geflohen. Er legt mit „Die Wäscheleinen-Schaukel“ seinen ersten Roman vor: ein Werk über einen traditionellen syrischen Hakawati, einen Geschichtenerzähler, der mit seinem Partner vor dem syrischen Krieg nach Kanada geflohen ist. Das Buch erlaubt den Leserinnen und Lesern durch Rückblicke, in eine fremde Welt einzutauchen, ist aber auch geprägt von Traumata und von einer tiefen Trauer und Melancholie erfüllt, die über Strecken schwer verdaulich sind.

„Erzähl mir eine Geschichte, hakawati.“ – Diesen Satz, gerichtet an den Ich-Erzähler von „Die Wäscheleinen-Schaukel“, liest man im Laufe der Erzählungen, die sich hier aneinanderreihen, immer wieder. Wir wohnen einer Situation bei, in der zwei aus Syrien geflohene schwule Männer Jahrzehnte später an ihre Vergangenheit zurückdenken. Da einer der beiden schwer krank ist und sehr wahrscheinlich an seiner Erkrankung sterben wird, versucht der begnadete Geschichtenerzähler, der sich selbst einen „Fabulierer“ nennt, den Tod durch seine Erzählungen zu überlisten.

Denn der Tod ist in Ramadans Roman äußerst präsent als eine lebendig gewordene Allegorie, die sich in der Wohnung der beiden Protagonisten breit macht, ihren Alltag mit ihnen teilt und sich mit ihnen Geschichten erzählt, die er wie auf eine Leinwand projiziert. Wie Scheherazade in der Rahmenhandlung von 1001 Nacht ihren eigenen Tod verhindert, indem sie dem persischen König Schahryâr Nacht für Nacht spannende Erzählungen vorsetzt, versucht der Geschichtenerzähler den bei Ahmad Danny Ramadan sichtbar, bildhaft und lebendig gewordenen Tod, der mitunter über sich selbst lachen kann, durch seine Erzählungen über die Vergangenheit in Syrien und im Nahen Osten abzulenken. Manchmal wird es etwas zu bizarr, wenn etwa die Todesallegorie sich mit seinen Gastgebern einen Joint teilt.

Denn im Grunde handelt es sich bei den Themen dieses Romans um äußerst ernsthafte Dinge: Erinnerungen des Erzählers an früher, die Zeit in Syrien, die Scheidung der Eltern, das Aufwachsen bei einer depressiven Mutter, die Entdeckung der eigenen Homosexualität in Syrien, die Schwierigkeiten als schwuler Mann in einer noch immer patriarchal und religiös dominierten Gesellschaftsform. Der Titel des Romans leitet sich übrigens daher ab, dass der Vater für seinen Sohn auf dem Balkon eine Schaukel aus alten Wäscheleinen gebaut hat. Später hing diese Schaukel noch lange auf dem Balkon und steht metaphorisch für die gescheiterte Ehe und den Weggang des Vaters.

Der Erzähler verlässt seine Familie, nachdem er von seinem eigenen Vater nach seinem Coming-out niedergemacht und in ein Zimmer gesperrt wurde. Er flieht nach Ägypten, später auch nach Beirut im Libanon. Auch dort erfährt er Gewalt auf der Straße aufgrund seiner Homosexualität. Allerdings erlebt er auch so etwas wie Gemeinschaft mit anderen queeren Menschen, vor allem einer Gruppe von Lesben, aber auch Liebhabern.

Die Sexualität und Intimität kann nur versteckt, zuhause oder an für Männer reservierten Orten stattfinden, teilweise während in Syrien vor der Tür der Krieg tobt. Während des grausamen Krieges lernt der Erzähler seinen jetzigen Freund kennen, den er bei sich zuhause trifft. 2012 verlassen sie Syrien, um nach Kanada zu fliehen, wo sie in den Genuss der Unterstützung eines Einheimischen kommen, der es fast ein wenig mit der Hilfsbereitschaft für „seine Syrer“ übertreibt. Die Erzählzeit des Romans spielt 40 Jahre später, als die beiden Neuankömmlinge sich bereits längst ein neues Leben in Kanada aufgebaut haben, ohne jedoch augenscheinlich je ganz dort anzukommen und ohne je völlig von Syrien und den Erinnerungen daran loszukommen.

Die beiden leben immer noch von den Gedanken, Gefühlen, Gerüchen, Ansichten etc. einer lange vergangenen Welt, die, wie es einmal heißt, auch in Syrien nicht mehr existiert: Das Damaskus von damals gibt es nicht mehr. Und doch klammern sich die beiden Hauptfiguren, die sich in ihr Haus wie in einem kleinen, schön dekorierten Kokon eingerichtet haben, an die Geschichten, die als einzige imstande sind, sie mit ihrer Vergangenheit zu verbinden. Sind es vielleicht allein die Geschichten, die alten Erinnerungen und gemeinsamen Erlebnisse, die in einer solchen Ausnahmesituation einen Sinn und Lebensmut geben können? Der hakawati würde darauf jedenfalls mit einem Ja antworten – und auf der Stelle eine seiner schwermütigen und tiefsinnigen Geschichten erzählen.

Denn die Erzählungen aus „Die Wäscheleinen-Schaukel“ zeichnet allesamt ein ausgesprochener Hang zur Melancholie, zur Trauer und zum negativen Ende sowie zur Bewältigung vergangener Traumata aus. Dieser ungeschönten Realitätsbeschreibung sollte man sich bei der Lektüre des Werkes bewusst sein. Es verwundert nicht weiter, dass ein Kriegsflüchtling seine Vergangenheit aufarbeiten muss und möchte – und es besteht ein starkes Interesse daran, dass der syrische Krieg in Fiktion oder Autofiktion niedergeschrieben wird, gerade auch aus der Perspektive von direkt Betroffenen; doch angesichts der Tatsache, dass der Erzähler und sein Freund bereits gealtert sind und 40 Jahre in Kanada leben, ist es doch etwas merkwürdig, warum nicht auch mehr positive Erlebnisse bzw. Erlebnisse aus Kanada erzählt werden. In Erinnerung bleibt am Ende vor allem das Negative von diesem Buch, was eine bedauerliche Bilanz ist.

Dennoch hat das Werk „Die Wäscheleinen-Schaukel“ den Verdienst, die Perspektive zweier schwuler syrischer Flüchtlinge von der Kindheit über das junge Erwachsenenleben bis ins hohe Alter ins Licht zu setzen. Außerdem taucht man bei der Lektüre in die Welt des Nahen Ostens ein – zwischen Syrien, Ägypten und Libanon – und erlebt die Kultur dieser Region, ihre Gerichte, Sprache und Bräuche. Der britische Independent wählte den Roman 2019 unter die 30 besten Debütromane.

Bewertung: 3/5

Bibliographische Angaben:
Autor: Ahmad Danny Ramadan
Titel: Die Wäscheleinen-Schaukel
Übersetzung aus dem Englischen: Heide Horn/Christa Prumer-Lehmair
Verlag: Orlanda Verlag
Seitenzahl: 288 Seiten
ISBN: 9783944666747
Kaufpreis: 22 €

Weitere Rezensionen:
tazDeutschlandfunk KulturSissy MagQueer.de

Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen herzlichen Dank dafür! Die Tatsache, dass es sich um ein Leseexemplar handelt, beeinflusst meine Bewertung nicht.

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