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Interview mit dem Schriftsteller Khaled Alesmael: „Al-Assad ist ein Faschist“

Khaled Alesmael ist ein syrisch-schwedischer Journalist und Schriftsteller. 1979 in Syrien geboren, studierte er Englische Literatur in Damaskus und arbeitete als Journalist sowohl in Syrien als auch in Europa. 2014 beantragt er Asyl in Schweden, wo er sein erstes Buch „Selamlik“ veröffentlichte, das 2020 auf Deutsch erschien. Im Interview spricht Alesmael über Homosexualität in Syrien, das Konfliktpotenzial seines Romans, den Krieg und die Politik des diktatorischen Machthabers al-Assad.

Der-Leser.net: Ihr Roman „Selamlik“ über den schwulen syrischen Flüchtling Furat thematisiert offen Homosexualität in Syrien sowie in der Gemeinschaft der Flüchtlinge. Furat muss, wie viele andere schwule Männer im Nahen und Mittleren Osten, seine Sexualität verstecken. Er erzählt die Wahrheit über sich lediglich seiner Mutter und seiner Tante, bevor er nach Schweden flieht, um dort ein offeneres Leben zu führen. Wie wichtig ist es, diese Themen anzusprechen und dadurch ein politisches Bewusstsein zu wecken?

Khaled Alesmael: Es handelt sich um puren Einfluss des Arabischen Frühlings. Aufrichtige Literatur erzählt die Wahrheit und demaskiert die Wirklichkeit. „Selamlik“ ist für viele eine Konfrontation: Für das syrische Regime, das Homosexualität kriminalisiert: Artikel 520 des Strafgesetzes von 1949 verbietet „körperliche Beziehungen gegen die natürliche Ordnung“ und schreibt für homosexuelle Handlungen bis zu drei Jahre Gefängnisstrafe vor. Auf der anderen Seite ist es eine offene Gesprächsführung für die Syrer*innen, die nun in Europa sind: Schwule verlieren genauso viel wie andere Syrer*innen in diesem Krieg verlieren, und Syrer*innen müssen in ihrer Vielfalt die neuen Stimmen akzeptieren, welche zuvor schon existierten, aber gezwungen wurden, stumm zu bleiben. Die dritte Konfrontation ist die mit den Europäer*innen, die die Syrer*innen als Flüchtlinge seit fünf oder sechs Jahren bei sich aufnehmen. Es ist ein Dokument, um sie über Syrien und die Struktur der Gesellschaft zu informieren. Es spricht über die unsichtbare Welt in Syrien. Es erklärt, warum schwule Flüchtlinge nach Europa kommen und warum viele weiterhin diskret leben. Wir brauchen Geschichten, um einander zu verstehen. 

Am Ende Ihres Romans stellen Sie die Frage, ob das Buch ein Roman oder eine Autobiographie ist. Ist es möglich, darauf eine Antwort zu geben? In welchem Maß ist der Roman autobiographisch?

Es handelt sich absolut um einen Roman. Schreiben hilft mir zu verstehen, welche Art von Wesen ich bin. Ich habe diesen Roman geschrieben, um mich selbst zu retten, bevor ich irgendwen anderes rette. Ein Teil des Grundes, dass ich die Orientierung verlieren könnte, ist, dass ich in einer Kultur aufgewachsen war und dass ich nun in einer anderen lebe, und ich wollte verstehen und mein Verhältnis zu jeder von beiden lenken. Ich musste wirklich verstehen, wer ich war, weil, wenn ich mir darüber nicht im Klaren wäre, wer ich war, dann bin ich mir nicht im Klaren darüber, wie ich schreiben soll. Mein Schreiben kommt von einem sehr tief gelegenen Raum in meinem Inneren, dem ich wirklich Ausdruck verleihen muss und über den ich sprechen muss. Das ist Selamlik.

In dem Text versucht der Erzähler, seine Geschichte einem libanesischen Verleger anzubieten, der sie ablehnt, weil sie Intimität zwischen Männern beinhaltet und weil sie nicht zur „Verlagspolitik“ passe. Denken Sie oder hoffen Sie, dass es eine Zeit geben wird, in der ein Roman wie Ihrer in einem Land des Mittleren Ostens ohne größere Bedenken erscheinen kann? Ist die jüngere Generation toleranter?

Nun gut, diejenigen, die arabische Verlage im Mittleren Osten oder in Europa leiten, können diese Frage besser beantworten als ich. Was ich weiß, ist, dass eine beachtliche Zahl von Arabisch sprechenden schwulen Leuten mir schreiben, weil sie nach der arabischen Ausgabe verlangen, „welche das Original ist“.

Furat nimmt uns in den Teilen des Buches, die in Syrien spielen, vor und kurz nach der Revolution zu den Plätzen, wo er mehr oder weniger heimlich seine Sexualität ausleben kann, indem er Männer in einem Park, im Hamam oder in einem Schwulenkino trifft. Existieren diese Räume im heutigen Syrien der nachrevolutionären Zeit immer noch?

Die meisten Hamams sind geschlossen worden wegen der Wirtschaftskrise – eine „Folge des Krieges“. Ich war Zeuge der Schließung des Hamam Ammouneh im Jahr 2007, einer der ikonischen Schwulensaunas in Damaskus und Syrien, und seit diesem Jahr spürte ich allmählich die Wichtigkeit der Erhaltung  des unsichtbaren und nicht fassbaren Erbes.

Im Roman kommen mehrere Sexszenen zwischen Männern vor. Gegen Ende kulminiert eine Schwedisch-Unterrichtsstunde für Flüchtlinge und Ausländer in einer parodistischen und pansexuellen Orgie, während die Lehrerin weiterhin versucht, den Schüler*innen die schwedischen Vokabeln für die Körperteile beizubringen. War es selbstverständlich für Sie, schwule Sexualität ziemlich offen darzustellen? Und was ist der Sinn der Orgien-Szene?

Das überlasse ich den Leser*innen.

Sie arbeiten auch als Journalist, zum Beispiel haben Sie Artikel für die deutsche Tageszeitung taz über syrische Flüchtlinge in Berlin geschrieben. Laut dem Flüchtlingswerk UNHCR haben seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 circa 6,7 Millionen Menschen Syrien verlassen, mehr als eine Million ist nach Europa gekommen, davon 770.000 nach Deutschland. Haben Sie politische Forderungen, die die Situation der Flüchtlinge betreffen, vielleicht besonders die von LGBTQ-Flüchtlingen?


Al-Assad und sein Vater sowie ihr Regime sind der Hauptgrund, warum schwule Leute unterdrückt werden, Daesch kam Ende 2013 und ist seit 2017 weg. Wenn al-Assad liberal wäre, wie er sich selbst und seine Ehefrau vor dem Krieg beworben hat, müsste er zumindest den Artikel 520 abschaffen; doch er hat seine Macht benutzt, um sein faschistisches Regime zu errichten. Al-Assad unterdrückt weiterhin die schwule Bevölkerung. In seiner letzten Rede mit Imamen in einer Moschee brachte er die Imame gegen die Schwulen auf, als er meinte: Wollt ihr, dass eure Kinder geboren werden und ihr Geschlecht frei auswählen wie in den imperialistischen Ländern. Er ist ein Faschist.


Khaled Alesmael: Selamlik.

Furat ist als eines von sechs Geschwistern in einer gutbürgerlichen Familie in Syrien aufgewachsen. Den Tod von Diktator Hafiz al-Assad erlebt er 2000 im Studentenwohnheim von Damaskus gemeinsam mit der ersten großen Liebe seines Lebens. Hartnäckig erkundet er die „heimliche Revolution“, das verborgene Leben homosexueller Männer in Damaskus, ihre Parks, Saunen und Pornokinos.
Der Terror des Bürgerkriegs trifft die Schwulen gleich doppelt: Islamistische Rebellen machen gezielt Jagd auf „die Leute von Lot“, stürzen sie von Hochhäusern in den Tod. Als das Haus der Familie in die Schusslinie der Kampftruppen gerät, macht sich Furat auf den Weg nach Norden. Auf der Flucht und im schwedischen Asylantenheim begegnen ihm seine arabischen Landsleute weiterhin mit unverhohlener Homophobie. In seinem Zimmer mit Blick auf den Friedhof von Åseda beginnt Furat, die Geschichte seines Lebens aufzuschreiben.

Übersetzung aus dem Arabischen und Englischen von Christine Battermann und Joachim Bartholomae. Albino Verlag. 256 Seiten.

Zur Rezension von „Selamlik“ auf Der-Leser.net.

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