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[Rezension] Die drei Leben der Hannah Arendt von Ken Krimstein

Ken Krimstein: Die drei Leben der Hannah Arendt. Graphic Novel. Übersetzt von Hanns Zischler. München: dtv 2019.

Ken Krimsteins Graphic Biography über Hannah Arendt wurde dieses Jahr hoch gelobt: Ein Grund für mich, die Graphic Novel selbst zu lesen und mir ein eigenes Urteil zu bilden.

Krimstein fasste dieses Projekt erstmals ins Auge, weil er fasziniert von Hannah Arendts Formulierungen wie „Banalität des Bösen“ oder dem Titel „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ war. Er wollte mehr über die Person, das Leben und das Werk Hannah Arendts entdecken. Eigentlich ist Krimstein Cartoonist (u. a. für den „New Yorker“, „Punch“ und das „Wall Street Journal“). Außerdem unterrichtet er an der Universität und ist Kreativdirektor einer Werbeagentur.

Doch nun zum Buch: In drei Teilen beschreibt Krimstein die „drei Leben“ von Hannah Arendt (1906-1975). Wir erleben als Leser einen Werdegang mit, der stark von der Flucht geprägt ist, aber auch vom Denken und der Auseinandersetzung mit bedeutenden Intellektuellen, Künstlern, Avantgardisten ihrer Zeit. Hannah Arendt war eine außergewöhnliche Frau, die bereits in ihrer Jugend Kant las. Daraufhin studierte sie in Marburg bei Martin Heidegger mit einer Reihe anderer wichtiger Denker wie Herbert Marcuse, Leo Strauss und Hans Jonas. Die Affäre zwischen Heidegger und Hannah Arendt wird in der Graphic Novel recht ausführlich thematisiert.

Hannah Arendt im Jahr 1975
(© American Memory)

Hannahs erste Flucht führt sie nach Berlin. Doch 1933 wird Arendt von den Nazis ins Exil gezwungen und geht nach Paris. Auch dort kann sie aber nicht dauerhaft bleiben. Nachdem sie vom nationalsozialistischen Regime ausgebürgert worden war, folgt eine Zeit der Staatenlosigkeit. Sie geht sie über Portugal in die USA. 1951 erhält sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. In den USA geht sie einer akademischen, journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit nach.

Für Hannah Arendt ist leben und denken ein und dasselbe. Sie kann sich ein Leben ohne Denken nicht vorstellen. So entstehen ihre Bücher über die „Banalität des Bösen“, die „Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft“, die „Vita activa“ und Konzepte wie die „Pluralität“, die sie prägte. Demnach besteht zwischen den Menschen eine potentielle Gleichheit und Freiheit im politischen Raum. Wichtig sei es, die Perspektive des anderen einzunehmen. Das Konzept der Pluralität scheint heute angesichts der Polarisierung der Gesellschaft noch aktuell. Arendt vertrat außerdem eher Rätesysteme und Formen direkter Demokratie als repräsentative Demokratien.

Arendts Stellungnahmen zu aktuellen politischen Ereignissen waren häufig umstritten: Sie galten den einen als zu jüdisch, den anderen als nicht jüdisch genug. So wandten sich viele von ihr ab, als sie sich zum Eichmann-Prozess in Jerusalem öffentlich äußerte.

Der Stil der Graphic Novel ist gezeichnet wie ein Cartoon, leicht, locker, übersichtlich, nie schwer oder grausam. Bis auf einige grüne Farbtupfer auf der Kleidung von Hannah Arendt sind die Zeichnungen in schwarz-weiß gehalten. Das Werk liest sich rasch, es ist eine Tour-de-Force durch den interessanten Werdegang einer der wichtigsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Naturgemäß wurde dem Denken, das sich zeichnerisch nicht so leicht darstellen lässt, dort etwas weniger Raum eingeräumt als den Lebensereignissen. Sehr deutlich geht aus der Graphic Novel jedoch hervor, welche Denkerinnen und Denker Hannah Arendt beeinflusst haben, wie etwa Platon, Aristoteles, Kant, Heidegger und Jaspers.

Insgesamt hat mir die Graphic Novel aber sehr gut gefallen. Wie Fluchterfahrungen ein Leben prägen, dieses Thema ist heute aktueller denn je zuvor. Natürlich war Hannah Arendt privilegiert und eine Intellektuelle. Und doch musste sie, wie die Graphic Novel zeigt, auf ihrem Lebensweg Hindernisse überwinden, die mit ihrer Herkunft zusammenhingen, beispielsweise ihrem Judentum, das ihr in einem antisemitischen Umfeld zum Nachteil gereichte.

Erst nach der Emigration in den USA konnte sie sich richtig frei entfalten. Und selbst dort ließ sie ihre Vergangenheit, das, was sie zuvor erlebt hatte, ihre eigene Geschichte nie ganz los. Die Graphic Biography Kimsteins schafft es, darzulegen, wie die eigene Geschichte den Lebensweg und das Denken eines Menschen beeinflusst. Er konzentriert sich auf die wichtigsten Ereignisse und vereinfacht doch nicht zu sehr.

Die Hannah Arendt dieser Graphic Novel ist eine mutige und hochintelligente Denkerin, die es trotz aller Hindernisse wagte, ihren eigenen Weg zu gehen und damit am Ende Erfolg hatte.

Bewertung: 5 von 5.

ISBN 9783423282086

One thought on “[Rezension] Die drei Leben der Hannah Arendt von Ken Krimstein

  1. von diesem buch habe ich bisher weder etwas gehört, noch eine rezension darüber gelesen. ich schätzte hannah arendts politische theorie(n).

    im lauf der jahre ist aber die verbindung viele denker:innen und intellektueller zu heidegger für mich insofern »problematisch« geworden, als dass ich heidegger aus einer reihe von gründen, inzwischen essentiell ablehne – vornehmlich wg. seiner verwobenheit mit dem nationalsozialismus. daher «zucke» ich immer etwas zusammen, wenn ich heidegger lese.

    aber es war nun mal eine liebe zwischen den beiden, wenn auch eine der ungewöhnlichsten. insofern werde ich mal schauen, ob ich mir das buch dennoch beschaffe, da ich hannah arendt sehr schätze.

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