Gaetano Altopiano, geboren 1962 in Palermo, ist ein Meister der essayistischen Verdichtung und liefert mit seinem neuen Essayband Von der Freiheit des Huhns zu picken eine erstaunliche Vielfalt an Themen: von Physik über Philosophie und Prophetie bis hin zur Frage, warum ein Huhn im Käfig nicht anders fühlt als auf der Wiese.
Weiterlesen: „Von der Freiheit des Huhns zu picken“ von Gaetano AltopianoGaetano Altopiano ist nicht nur Lyriker, sondern auch ein Meister der essayistischen Verdichtung. Neben Kurzgeschichten schreibt er vor allem kurze Essays, die in wenigen Sätzen existenzielle Fragen aufwerfen und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lassen. Der Herausgeber Michele Sciurba beschreibt ihn treffend als „Meister der Verwirrung“. Altopiano ist Autor mehrerer Bücher, darunter Polver nel, È un’acciuga il mio carro trionfale und Stomaco Altopiano. Außerdem ist er Redakteur der Literaturzeitschrift Cucchiao nell’Orecchio.
In der Edition Faust ist sein Essayband Von der Freiheit des Huhns zu picken erschienen, ins Deutsche übersetzt von Monika Lusitg und Elvira M. Gross. Der titelgebende Essay analysiert am Beispiel der Hühnerhaltung, warum Tiere kein Bewusstsein ihrer eigenen Existenz haben und warum es ein Fehler ist, sie zu vermenschlichen. Altopiano argumentiert, dass ein Huhn im Käfig seine Situation nicht anders wahrnimmt als ein Huhn auf der Wiese. Gefühle würden den Tieren ausschließlich vom Menschen zugeschrieben. Diese Beobachtung widerspricht modernen tierethischen Ansätzen, ist aber scharfsinnig formuliert und argumentativ geschickt vorgetragen.
Altopiano zeigt sein Talent im Umgang mit Sprache und überrascht mit unkonventionellen Gedanken. So beklagt er, dass offenherzige Menschen angeblich keine guten Hygienegewohnheiten hätten, oder stellt die Behauptung auf, dass ein Erdbewohner nicht aus eigener Erfahrung beweisen könne, dass die Erde rund sei. Solche Aussagen wirken provokant und manchmal verschwörungstheoretisch, regen aber immer zum Nachdenken an.
Eine seiner stärksten Beobachtungen ist die Nostalgie: „Der Glaube an die gute alte Zeit (dass sie wirklich besser war als die, in der wir heute leben) ist eine universelle Illusion“. Schon im Mesolithikum verklärten die Menschen vergangene Zeiten – eine Erkenntnis, die er mit Beispielen wie dem Ahnenkult und der Verklärung der Eiszeit als „Jägerparadies“ illustriert. Nostalgie ist also kein Phänomen der Moderne, sondern eine universelle menschliche Konstante.
Altopiano offenbart in seinen Essays auch persönliche Eigenheiten: Seine Jugend war geprägt von einer Schwärmerei für Thomas Edward Lawrence von Arabien, den britischen Archäologen und Offizier – vor allem wegen seiner Physis. In einem anderen Text äußert er seine Abneigung gegen übertrieben runde Köpfe und gegen Satzzeichen wie Frage- oder Ausrufezeichen. Selbst den Begriff „Wildlachs“ stellt er in Frage, denn seiner Meinung nach gibt es keinen Lachs, der nicht wild ist.
Trotz dieser faszinierenden Einblicke und skurrilen Gedankenspiele hinterlassen einige der kürzeren Essays keinen bleibenden Eindruck. Gerade gegen Ende des Bandes wirken einige Texte etwas unausgegoren, was das Lesevergnügen etwas trübt.
Doch die Stärke von Altopianos Essays liegt in ihrer Vielfalt: Jeder Leser wird andere Favoriten haben. Fest steht jedoch, dass seine Texte unterhaltsam, sprachlich brillant und oft intellektuell herausfordernd sind. Gerade für kurzweilige Lesemomente ist dieser Band ideal. Auch die gelungene deutsche Übersetzung trägt dazu bei, dass Altopianos pointierter Stil unverfälscht zur Geltung kommt. Perfekt für alle, die kurze, pointierte, aber tiefgründige Texte lieben!
Bewertung: 4/5
Gateano Altopiano: Von der Freiheit des Huhns zu picken. Aus dem Italienischen von Monika Lustig und Elvira M. Gross. Edition Faust. 22 Euro.
Gaetano Altopiano bei Edition Faust