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„Der belgische Konsul“ von Amélie Nothomb

Ein Buch pro Jahr veröffentlicht Amélie Nothomb ungefähr, und so gibt es in jeder rentrée littéraire ziemlich zuverlässig einen frischen Roman aus ihrer Feder. In ihrem neuesten jetzt auf Deutsch erschienenen Roman schreibt die französische Erfolgsschriftstellerin Nothomb über das Leben ihres Vaters, eines belgischen Diplomaten, von dessen Kindheit bis zu einer Geiselname in Stanleyville.

Amélie Nothomb wuchs als Tochter eines belgischen Diplomaten auf. Geboren wurde sie 1967 in Kobe, Japan. Sie stammt aus einer großbürgerlichen belgischen Politikerfamilie. Ihre Kindheit verbrachte sie in Asien, die ersten fünf Jahre in Japan, daraufhin folgten – durch den Beruf des Vaters bedingt – Stationen in China, New York, Burma und Laos. Erst mit 17 Jahren kam Amélie Nothomb erstmals nach Europa, wo sie Romanistik in Brüssel studierte. Nach ihrem Universitätsabschluss arbeitete sie in einem Großunternehmen in Japan, was als Grundlage für ihren Roman „Mit Staunen und Zittern“ diente.

1992 kehrte Nothomb nach Belgien zurück und veröffentlichte ihr erstes Buch. Nothomb lebt heute in Paris und Brüssel. Ihr aktuelles Buch „Premier sang“ bzw. auf Deutsch „Der belgische Konsul“ erhielt den Prix Renaudot sowie den Premio Strega Europeo. Darin schreibt sie zunächst über die Kindheit ihres Vaters, der als Sohn einer großbürgerlichen Dame aufwächst, die ihn aber nicht selbst erziehen möchte, da sie von dem Tod ihres Mannes so mitgenommen ist. Stattdessen verbringt die Mutter des Protagonisten, der zugleich der Ich-Erzähler dieses Textes ist, ihre Zeit lieber auf gesellschaftlichen Anlässen, auf denen sie nach dem Tod ihres geliebten Mannes vergeblich umworben wird und ihre Trauer zur Schau stellen kann.

Ihr Sohn wächst derweil bei den Großeltern auf, die der Ansicht sind, dass er zu sehr verwöhnt wurde und deshalb nicht hart genug sei. Der Großpapa fasst also den Entschluss, dass der Enkel zur Härte erzogen werden muss, wenn er sich in der Schule und im Leben bewähren soll. Ein Zeichen mangelnder Härte ist es, dass der junge Patrick kein Blut sehen kann, und wenn er dann doch welches sieht, ohnmächtig wird. So kommt der Protagonist erstmals, zunächst in Begleitung des Großpapas, zum Landsitz der Familie Nothomb, wo ein weiterer Großvater namens Pierre und seine Frau mit ihren Kindern hausen. Beinahe wie im Märchen geht es hier zu. Der Großvater ist ein verkannter Dichter, der mit seiner Dichtung kaum etwas verdient, weshalb die eigentlich vornehme Familie hungert.

So stürzen sich die Kinder des Anwesens – denn die Familie wohnt in einem ländlichen Schloss – nach der Ankunft des Neuen auf dessen Koffer, in dem Essensvorräte für mehrere Tage stecken, und futtern diese auf. Nun muss der Neuankömmling Patrick ebenfalls mit dem vorliebnehmen, was er bei der Speisung durch den Familienkoch erhält, zum Beispiel eine klare Suppe mit etwas Zwiebeln, die zunächst die Erwachsenen essen dürfen, ehe die Jugendlichen an die Reihe kommen und schließlich die Kinder, für die meist kaum noch etwas Kaubares übrigbleibt. So müssen die Kinder, so muss Patrick an diesem etwas aus der Welt gefallenen, zauberhaften Ort lernen, durchzuhalten und sich wortwörtlich durchzubeißen.

Als er von dem Ferienaufenthalt auf Schloss Nothomb zurückkommt, wünscht er sich, in den nächsten Ferien wieder dorthin zurückkehren zu dürfen. Und das wird auch passieren, denn bereits in den Weihnachtsferien erlebt Patrick das Schloss Nothomb und dessen Bewohner erneut, dieses Mal inklusive Kälte, Schnee und Eislaufen. Danach geht es in dem Buch schnell voran, nachdem die Kindheit einen Großteil der Erzählung in Anspruch genommen hat: Patrick macht seinen Schulabschluss, studiert und wird schließlich Konsul in Belgien.

Ihm, der ein ruhiger und nicht sehr zupackender Junge ist, bleibt nicht viel außer der Diplomatie. Auch die Aufenthalte auf dem Schloss haben nicht wesentlich dazu beigetragen, ihn härter werden zu lassen, wie sein Großpapa das für ihn vorgesehen hatte. Doch schließlich erlebt Patrick noch seinen entscheidenden Moment. Als er belgischer Generalkonsul im Kongo ist – sein erster Auslandseinsatz -, erlebt er die größte Geiselnahme des 20. Jahrhunderts. Die kongolesischen Rebellen nehmen in Stanleyville (heute Kisangani) 1500 Geiseln, und Patrick wird der entscheidende Vermittler, dessen Aufgabe es ist, solange mit den Anführern der Geiselnehmer zu parlieren, bis die Geiseln durch belgische Fallschirmspringer befreit werden.

Am 24. November 1964 kommen die Fallschirmspringer schließlich, und die Geiseln werden aus dem Hotel getrieben und teilweise erschossen. Die Geiseln fliehen – und neun von zehn, darunter auch Patrick Nothomb, überleben. Die Erlebnisse hat Patrick Nothomb in dem Buch Dans Stanleyville (Éditions Masoin, 2007) verarbeitet.

Eine unbedingt Leseempfehlung für alle, die besondere Familiengeschichten und Portraits mögen! Die Geschichte liest sich gut, spannend und fast zu schnell. Man möchte am Ende, dass die „Story“ von Patrick Nothomb noch weitergeht bzw. man hätte gern, dass sie mit mehr Liebe zum Detail erzählt worden wäre, damit man mit diesem Ich-Erzähler, mit dem man sich schnell anfreundet, noch mehr Zeit verbringen kann…

Bewertung: ⭐⭐⭐⭐⭐ 5/5

Amélie Nothomb: Der belgische Konsul. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Diogenes Verlag. 23 €.

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