2020 feiern wir den 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven. In diesem Beethoven-Jahr sind nicht nur zahlreiche Sondersendungen zu dem Ausnahmekomponisten über den Äther gegangen, sondern auch einige Graphic Novels erschienen, die sich mit seiner Person befassen. Wir stellen „Beethoven: Unsterbliches Genie“ (Carlsen, 2020) von Peer Meter und Rem Broo und „Goldjunge: Beethovens Jugendjahre“ (avant-verlag, 2020) von Mikael Ross vor.
Die beiden Werke sind allein schon deshalb sehr verschieden, weil sich beide einem anderen Zeitraum in Beethovens Leben widmen: Während „Goldjunge: Beethovens Jugendjahre“ sich, wie der Titel bereits sagt, Beethovens Kindheit, Jugend und ersten Jahren als Musiker in Wien zuwendet, wohnt man in „Beethoven: Unsterbliches Genie“ dem Tod des Komponisten bei und erfährt post mortem interessante Geschichten und Anekdoten aus seinem Leben.
Goldjunge: Beethovens Jugendjahre
In „Goldjunge“ verschreibt sich Mikael Ross, der Autor und Zeichner der preisgekrönten Graphic Novel „Der Umfall“, mit einer sozialen und sozialkritischen Brille den Anfängen des jungen Beethoven, der von seinem Vater Johann van Beethoven, dem Tenorsänger in der Hofkapelle, stolz als „Goldjunge“ bezeichnet wurde, da dieser sein musikalisches Talent früh erkannte. Bereits sein Großvater Ludwig van Beethoven war ein Musiker gewesen, von ihm habe der junge Beethoven, so seine Mutter, „das Besondere“.
Die Anfänge als nicht adeliger, begabter junger Musiker in Bonn waren nicht ganz einfach. Die fünfköpfige Familie – Beethoven hatte zwei Brüder – hauste in einer Mietswohnung und musste darum kämpfen, mit dem Gehalt des Vaters über die Runden zu kommen. Zudem war man von der Gunst des Adels abhängig, sodass man sich stets mit den blaublütigen Zeitgenossinnen und -genossen gutstellen musste.
Beethoven musste sich wahrlich durchbeißen. Er wird zunächst Klavierlehrer in der Familie von Breuning, zu der er nach einer gescheiterten Brautwerbung Zugang findet. Eleonore, die er dort unterrichtet, erkennt in ihm einen Seelenverwandten und fühlt intuitiv seine Musik, die sein Vater als bloßes Geklimper abtut.
Bei den von Breunings erlebt Beethoven einen künstlerisch interessierten, verfeinerten Haushalt, der im großen Gegensatz zu seiner eigenen Familie steht, wo es immer wild zuzugehen scheint und nie Ruhe herrscht. Auf diese Weise inszeniert Ross Beethovens frühes Leben als Sozialdrama, in dem sein musikalisches Talent die einzige Hoffnung darstellt, dem Elend zu entkommen.
Die adelige Familie setzt sich beim Kurfürsten auch dafür ein, dass Beethoven zu einer ersten Studienreise nach Wien fahren kann. Dort trifft er auf Mozart, der ihn aber abblitzen lässt. Beethovens Vater ist nach dem Tod der Mutter zum Trinker geworden und hat seine Stelle verloren. Deshalb muss Beethoven mit seinen Einkünften für die Familie sorgen. Als er in Bonn auf Hadyn trifft, wendet sich für ihn das Blatt. Haydn sorgt dafür, dass er nach Wien darf, um bei ihm unterwiesen zu werden. Haydn schikaniert ihn, so kommt es ihm vor, mit seinen Übungen.
Als er eine alte Bekannte aus Bonner Zeiten in Wien wieder trifft, die mittlerweile als Sängerin durch Europa tourt und in die er sich verliebt, fasst er den Mut, seine Klaviertrios als sein erstes selbst komponiertes Werk herauszubringen. Kurz darauf lässt Haydn ihn sein erstes Konzert in Wien spielen. Doch plötzlich wird sein Hörvermögen schlechter – er bekommt Tinnitusgeräusche, die ihm das Arbeiten erschweren und letztlich dazu führen werden, das er nichts mehr hört. Beethoven schreibt trotzdem ein Klavierkonzert, das beim Wiener Publikum ein voller Erfolg wird.
Die Graphic Novel von Ross möchte den jungen Beethoven in seiner Entwickling darstellen – und das gelingt ihr. „Goldjunge“ geht auf den familiären Hintergrund, die ersten Kontakte Beethovens mit der Musik- und Adelswelt und die Entwicklung seines musikalischen Talents ein, die mit den Klavierstunden bei seinem Vater und Herrn Pfeiffer ihren Anfang nimmt, sich mit den Stunden bei Haydn fortsetzt und mit den ersten eigenen Kompositionen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Ross verzichtet nicht auf komödiantische Einlagen und amüsante Begebenheiten: Schlägereien, heimliche Liebschaften, Beethovens Probleme mit der Verdauung, die ihm in den unmöglichsten Situationen in die Quere kommen, ein Abschnitt, in dem die vergeblichen Versuche verschiedener Quacksalber und ihre unterschiedlichen „Heilmethoden“ aufs Korn genommen werden.
Zeichnerisch ist das Werk wirklich sehr gelungen. So wird zum Beispiel die neuartige Musik Beethovens in Form von ausgreifenden bunten Wogen und Schwingungen dargestellt. Wird es dem jungen Meisterkomponisten übel oder ist er krank, verzerren und wellen sich seine Gesichtszüge und es sieht aus, als würden seine vergrößerten weißen Augen auslaufen. Damit hat Ross auch künstlerisch-graphische Ausdrucksmittel gefunden, die dem Thema gerecht werden. Eine klare Leseempfehlung für alle, die sich mit dem Leben des jungen Beethoven auseinandersetzen wollen!
Bewertung: 5/5
Bibliographische Angaben:
Autor/Zeichner: Mikael Ross
Titel: Goldjunge: Beethovens Jugendjahre
Verlag: avant-verlag
Erscheinungsdatum: 1.11.2020
Seitenzahl: 160 Seiten
ISBN: 9783964450418
Kaufpreis 25 €
Beethoven: Unsterbliches Genie
„Beethoven: Unsterbliches Genie“ unterscheidet sich von „Goldjunge“ auf den ersten Blick vor allem durch die Zeit in Beethovens Leben, die erzählt wird, – oder besser nach Beethovens Tod. Denn die Graphic Novel setzt am 28. März 1827, zwei Tage nach dem Ableben Beethovens, ein, als ein fiktiver Monsieur Louis Lefèbvre aus Paris sich auf die Suche nach Beethoven macht und dabei eine Odyssee durch halb Wien zurücklegt. Dabei lernen wir einige der Orte in Wien kennen, an denen Beethoven gewohnt hat. Denn Beethoven ist nach seinem Umzug nach Wien im Jahr 1792 fast 80 Mal umgezogen. Schließlich kommt Lefèbvre im Schwarzspanierhaus an, wo gerade der reich verzierte Sarg aus Mahagoniholz geliefert wird.
Lefèbvre verbindet mit Beethoven eine Geschichte: Denn der erfundene Franzose hat ihn angeblich davon abgebracht, seine dritte Symphonie Napoléon Bonaparte zu widmen, in dem Glauben, dass Bonaparte für die Ideale der Revolution stünde, obwohl sich dieser zum Kaiser ernannt und damit die revolutionären Ideen mit Füßen getreten hatte.
Die Graphic Novel zeigt, wie um den toten Beethoven ein Kult entsteht: Die einen wollen den toten Beethoven nur noch einmal sehen oder ein Haarbüschel von dem Toten haben, ein anderer möchte den Toten malen, und wieder andere tauschen den Kopf des Toten gegen einen anderen Kopf aus. Ja, es ist tatsächlich der Kopf Beethovens ausgetauscht worden, so unglaublich das auch klingen mag. Und wie bei der ersten Exhumierung im Jahr 1863 zutage trat, hat man sich auch an Beethovens Skelett bedient. Bei einer zweiten Exhumierung wurde der falsche Schädel, vermutlich irrtümlich für echt gehalten, erneut ausgetauscht.
Doch in der Graphic Novel geht es nicht nur um den Tod, sondern auch um die Lebenden. In der Zeit nach Beethovens Tod werden Anekdoten und Geschichten rund um das Leben und Wirken Beethovens erzählt. So erfahren wir auf satirisch-komische Art von dem Streit zwischen den Sängerinnen Caroline Unger und Henriette Sontag, in dem es darum geht, wer den tauben Beethoven nach der Uraufführung der neunten Symphonie im Kärtnertortheater zum begeistert jubelnden Publikum gedreht habe. „Sehen Sie! Und die Henriette Sontag, diese infame Person, behauptet neuerdings, sie hätte es getan! Eine bodenlose Frechheit“, echauffiert sich Caroline Unger.
Der Professor wacht zwar streng über den Zugang zum Toten, doch am Ende wird eine Totenmaske angefertigt und auch die Haarpracht des toten Beethoven wird so stark geplündert, dass sein Kopf beinahe kahl ist. Zudem leidet das Aussehen des Toten unter der Sektion, die auf Beethovens Wunsch durchgeführt wurde, um die Ursache seiner Taubheit herauszufinden. Bei der Beerdigung scheiden sich die Geister über den Komponisten: Die einen halten ihn für einen genialen Meister, die anderen für einen einsamen Teufel, der im Dreck hauste, wie ein Verrückter auf sein Klavier einhämmerte und eine Bedienstete um die andere vergraulte. Die vergrätzten Dienstmädchen nennen ihn im besten Wienerisch „narrisch“ oder „Giftnigl“. Auch über die letzten Worte entbrennt ein Streit, der nicht zu entscheiden ist – und vor allem darüber, ob Beethoven nach Bonn oder nach Wien – oder gar in die Niederlande – gehört.
So ist „Beethoven: Unsterbliches Genie“ eine Würdigung des Menschen Beethoven, die sich auf oft satirische Art posthum einzelnen Anekdoten und Aspekten aus dem (Nach-)Leben des Meisters widmet, ohne im Geringsten Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Es handelt sich um eine locker verbundene Sammlung aufeinanderfolgender Begebenheiten nach dem Tod Beethovens, mit wenigen Rückblenden in das Leben des Komponisten. Es ist teilweise die Sicht des Volkes, dem Peer Meter und Rem Broo mit Freude aufs Maul schauen. Und auch zwei Figuren, die über weite Teile durch die Graphic Novel führen, der historisch belegte „Sektionsführer“ Anton Dotter und der fiktive Totengräber Krankl, stammen aus dem Volk.
„Beethoven: Unsterbliches Genie“ reicht hinsichtlich des Szenarios, des Spannungsbogens und der künstlerischen Umsetzung nicht an „Goldjunge: Beethovens Jugendjahre“ heran. Doch es erzählt eine eigenständige, episodenhafte Geschichte, die vor allem durch ihre satirisch-humorvolle Erzählweise und den Witz in der Figuren(über)zeichnung besticht. Auf wunderbare Weise beschreiben Meter und Broo den Totenkult um Beethoven und die Heuchelei der Wiener Stadtgesellschaft, die sich als ichbezogen und habgierig erweist. Außerdem schafft es „Beethoven: Unsterbliches Genie“, dass einem selbst der tote Beethoven durch die kolportierte Kauzigkeit noch ans Herz wächst.
Bewertung: 4/5
Bibliographische Angaben:
Szenario und Text: Peer Meter; Storyboard und Zeichnungen: Rem Broo
Titel: Beethoven: Unsterbliches Genie
Verlag: Carlsen Verlag
Erscheinungsdatum: 12.03.2020
Seitenzahl: 144 Seiten
ISBN: 9783551731203
Kaufpreis: 22 €
Ich danke dem avant-verlag für das Rezensionsexemplar von „Goldjunge“, welches ich im Rahmen meiner Tätigkeit für TITEL Kulturmagazin erhielt. Die Tatsache, dass es sich um ein Leseexemplar vom Verlag handelte, beeinflusst meine Meinung nicht.