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Aus dem Lyrikkabinett: „was Petersilie über die Seele weiß“ von Alexandru Bulucz

Alexandru Bulucz: was Petersilie über die Seele weiß. Schöffling & Co.

Alexandru Bulucz, geboren 1987 in Alba Julia in Rumänien, legt mit „was Petersilie über die Seele weiß“ seinen zweiten Gedichtband vor. Mit 13 Jahren wanderte er mit seiner Familie nach Deutschland aus. Nach Stationen in Bayern, wo er das Abitur erwarb, studierte Bulucz von 2008 bis 2016 in Frankfurt am Main Germanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Seit 2013 veröffentlicht er regelmäßig Lyrik in Zeitschriften und Anthologien.

Die poetischen Erfahrung merkt man dem vielschichtigen Lyrikband mit dem gewitzten Titel „was Petersilie über die Seele weiß“ an, in dem Erinnerungen, Gegenwartserfahrungen und Bilder aus den verschiedensten Lebensbereichen zusammenfließen. Gleich zu Beginn des Bandes wird in einem einleitenden Gedicht mit losem Programmcharakter – passend zur titelgebendem Petersilie – festgelegt: „Digestion statt Diegese. Schreiben sei Verdauungsstunde, Darmkontrakt. Ich gehe prompt d’accord! Die Selbstverdauung schieb ich weiter vor mir her. Die Verwesung tritt ja schließlich nach dem Tode ein.“

Sowohl die Verdauung, vertreten durch kulinarische und digestive Metaphern, als auch der Tod, die Vergänglichkeit und die Religiosität haben in dem Gedichtband immer wieder ihren Auftritt.

So schreibt der Dichter in „Gespräch mit Baumrinden II“:

Nie nahmst du’s ab, als ich von Boris träumte,
von Feldern grüner Pastinaken. Es war dir gleich
was sich verbarg hinter dem Geschmack des Dills
im Käse aus der Teigtasche,

was Petersilie über die Seele weiß.
Nie fragtest du nach den transsilvanischen Äpfeln
u. warum sie in der kühlenden Erde lagern,
den Pilzen, die Majka anbriet u. salzte,

den Zwetschgen, dem Schnaps, dem Urgroßvater,
dem Holzkreuz am Bach. (…)

Gespräch mit Baumrinden II

An diesem kurzen Ausschnitt lässt sich die rasche Reihung der Ideen und Bilder beobachten, die für die Gedichte dieses Bandes typisch ist. Wo gerade noch von Pastinaken auf Feldern die Rede war, kommen unmittelbar darauf Teigtaschen zur Sprache, die schließlich den Gedanken an die Äpfel, Erde, Majka, Zwetschgen, Schnaps und den Großvater und ein Holzkreuz Platz machen.

Manche Gedankengänge und Assoziationsketten bleiben für die Leserschaft eher undurchschaubar – zu schnell, zu übergangslos sind sie bisweilen – und doch handelt es sich bei den Gedichten von Bulucz um sehr lesbare Gedichte, die im Einzelnen mit klaren Bildern und Metaphern aufwarten.

Da wäre etwa das große Themenfeld Religion, das das lyrische Ich beschäftigt und es immer wieder auf Figuren – etwa der Herr, Heiligenfiguren oder Maria -, Texte – etwa Psalmen und Gebetversatzstücke – und Konzepte – zum Beispiel die Trinität und die Gnade – aus der religiösen Sphäre zurückgreifen lässt.

Ich dachte an ihren Satz der Identität, in dem Euer Name vier Mal
genannt ist, u. Ihr verschwindet von Mal zu Mal. Sie hat Euch
wie ein Missverständnis ausgeräumt u. es mir einverleibt.
Seid gegrüßt, Rose u. Stein, voll der Gnade, gebenedeit seid ihr

unter den Menschen, gebenedeit sei euer Leib u. Korpus.

Religiosität stellt einen bedeutenden Referenzrahmen für den Dichter dar. Auch Fragen der Vergänglichkeit beschäftigen ihn, wenn er sich zum Beispiel die Frage stellt, wo er einmal beerdigt werden wird, und darauf antwortet: „Begrabt mich doch einfach / auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.“

Ein weiterer wichtiger Quell für diesen Text sind Erinnerungen: Erinnerungen an die Zeit in Rumänien, an die Landwirtschaft und das ländliche Leben, an den Krieg in Jugoslawien, Armut, Hunger und geteilte Mahlzeiten, an schwere Arbeit, an den Überlebenskampf, an die Emigration nach Deutschland.

Wahrscheinlich nicht ganz ernsthaft – doch wer weiß das so genau – schreibt er:

Habe wie die Zigeuner
Kupfer geklaut
aus Lastern. Stand an
mit Schrott vor den
Menschen. Es lebe das Bare.

Gespräche mit Kupfer

An das Essen erinnert das lyrische Ich sich folgendermaßen:

Wir, das Elend u. der Wirsing, in der Kohlsuppe,
falls am Ende des Monats überhaupt noch isst,
was man war, da es wundernimmt, dass wir singen

von einer Zeit, die erholt sich wierholen wird,
da mit den Gewürzen aus dem Schrank nur noch
die Gewürze aus dem Schrank zu vergeistigen sind.

Von der Komik des einen im anderen

Über die Emigration nach Deutschland schreibt Bulucz sehr konkret:

In Nadlak hält Duckadam die Stellung. Die Torwarthelden hätten Nicus Mittelsmänner /
beide Arm‘ gebrochen. Jetzt hält er Emigranten an. Wer beschaffte Papiere? Wer treibt uns /
hinaus aus Erinnerungszonen? Wir schulden Zöllnern u. Adams dennoch das Schmieren. /

Granita – staatenloser Panizza.

Dann kommt der Magyar. Wer beschaffte Papiere? Wer treibt uns hinaus aus Erinnerungszonen? /
Auch er will Schmiere. Dann kommt schon der zweite. Wer beschaffte Papiere? /
Wer treibt uns hinaus der Erinnerungszonen? Auch er will das Seine.

Zu Henkersmahlzeit mit der Erinnerungskutsche

Die „Erinnerungszonen“ werden häufig nicht nur von dem lyrischen Ich allein erkundet, sondern mit einem angesprochenen Gegenüber geteilt – Erinnerung als ein Geteiltes, als Dialog.

Das passt zu dem Konzept von Lyrik, das Bulucz verfolgt: Lyrik solle erlebt sein, das Erlebnis erlitten. („Lieber Klaus,“) Außerdem sieht Bulucz im Rückgriff auf sein großes Vorbild Paul Celan „keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht“. Er wolle ein dialogischer Lyriker sein, der Mitgefühl beim Leser erweckt, schreibt er im Nachwort des Gedichtbandes. („Die angelehnte Tür des Gedichts“)

Darin wird auch die Bedeutung der titelgebenden Petersilie näher erklärt: Sie sei für den Dichter, allein schon wegen der lautlichen Ähnlichkeit zwischen „Seele“ und dem zweiten Teil des Wortes „Petersilie“, ein Bild für die Seele. Laut dem Aberglauben mancher germanischer und romanischer Völker ist die Petersilie eine Unglückspflanze. Womöglich kommt ihr diese Stellung deshalb zu, da diese im Altertum zum Bekränzen der Toten und als Pflanze auf Grabhügeln verwendet wurde.

Der Dichter Bulucz sagt von sich selbst im Nachwort, dass er in seiner Dichtung um Lesbarkeit bemüht sei. Und in der Tat lesen sich seine Gedichte sehr gut, auch wenn es Mühe kostet, die zahlreichen Ebenen – Ebenen der Sprache, der Assoziation, der Erinnerungen und Orte – zu entschlüsseln.

Formal handelt sich in der Mehrzahl um Langgedichte, die aus Quartetten in festem Versmaß bestehen. Einige Kurzgedichte finden sich ebenfalls in dem Lyrikband. Dass Bulucz – anders als viele andere Gegenwartsdichterinnen und -dichter – Lyrik in Metrum verfasst, thematisiert der Autor humoristisch in einem fäkalen Teil des Gedichts „Sieben Dignitäten“:

Der Vater beschimpfte die Mutter als öffentliches WC.
Doch das passt nichts in Metrum. Ich muss wiederholen:
Der Vater beschimpfte die Mutter als jedermanns Wasserklosett.
Mit Betonung auf Samenerguss. Denn er meinte die Herrento’lette.

Jetzt dürfte es passen ins Metrum.

Sieben Dignitäten. Notre Dame de Paris et des Fleurs. 15. April 2019 ff., o.

Der Band steckt voller Referenzen: Neben Celan erwähnt Bulucz in seinen Gedicht als Bezüge noch Shakespeare, Jean Genet, César Valejo und Sigmund Freud sowie die französische Dichtergruppe Oulipo. Dazu gesellt sich ein auf der Innenseite des Schutzumschlages abgedrucktes Register von 150 Namen, welches als Lexikon von Personen dienen kann, die in irgendeiner Weise Bedeutung für Bulucz erlangt haben.

Das lexikalische Register umfasst Schriftsteller, Dichter, Komponisten, Maler und Künstler, Dramatiker, Psychiater, Theologen und Kirchenleute, Politiker und Staatsmänner, Comic-Autoren, Regisseure, Philologen und nicht zuletzt Verwandte des Dichters wie seine Großmutter und seinen Großonkel. Ein Sachregister enthält darüber hinaus Erklärungen für einige der zahlreichen rumänischen Begriffe, die in der Dichtung Bulucz‘ auftauchen, sowie für weitere Sonderwörter.

Bei „was Petersilie über die Seele weiß“ handelt es sich um einen Gedichtband voller Entdeckungen, Assoziationen und Ideen. Die rasch aufeinanderfolgenden Bilder, Erinnerungen und Gedanken, die in wohlgeordneter Form und daher gut rezipierbar präsentiert werden, lassen einen beim Lesen nicht so schnell los.

Das Gelesene, insbesondere die verschiedenen, manchmal äußerst originell kombinierten Schichten des Bandes, hallt noch einige Zeit nach. Nicht jeder würde es wagen, religiöse Begriffe neben fäkale Äußerungen zu stellen. Es sind metaphorische Experimentierfreude und gedankliche Lebhaftigkeit, gepaart mit der traditionellen Form, die diesen Band lesenswert machen.

Bewertung: 5/5

Bibliographische Angaben:
Autorin: Alexandru Bulucz
Titel: was Petersilie über die Seele weiß
Verlag: Schöffling & Co
Erscheinungsdatum: 03.03.2020
Seiten: 120
ISBN: 9783895615078
Kaufpreis: 20 €

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