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32 schöne Bücher aus unabhängigen Verlagen

Katalog der Kurt-Wolff-Stiftung 2020/21

„Es geht um das Buch!“, heißt es, wenn einmal im Jahr der Katalog der Kurt-Wolff-Stiftung erscheint. Darin präsentieren 65 spannende unabhängige Verlage sich selbst und ihre Programme. Vor Kurzem ist der neue Katalog für das Jahr 2020/21 veröffentlicht worden. Im folgenden Beitrag werde ich euch aus diesem Anlass meine persönliche Auswahl der interessantesten Romane aus unabhängigen Verlagen vorstellen. Die Romane habe ich aus dem Katalog der Kurt-Wolff-Stiftung ausgewählt.

Eine kleine Vorwarnung: Der Artikel könnte etwas länger werden, die Liste ebenfalls. Das liegt aber daran, dass er euch ausreichend Stoff für neues Lesefutter bieten soll und genau denjenigen Büchern Raum geben soll, die in den Buchhandlungen nicht an vorderster Stelle präsentiert werden und die auch im Internet und Feuilleton weniger Aufmerksamkeit erhalten. Jetzt geht es aber los mit der Bücherliste. Viel Freude damit!

Anar Ali: Nacht der Bestimmung.

Es ist das Jahr 1998. Mansoor Visram lebt nun schon seit 25 Jahren in Kanada, seit Diktator Idi Amin sämtliche Südostasiaten aus Uganda vertrieben hat. Mansoor, seine Frau Layla und ihr kleiner Sohn Ashif mussten ein erfolgreiches Leben hinter sich lassen und fliehen. Aber an alte Erfolge anzuknüpfen und die Familie in Kanada zusammenzuhalten ist viel schwieriger, als er erwartet hatte. Immer deutlicher treten die Risse zutage, die bereits vor Generationen – und auf anderen Kontinenten – entstanden sind. Vor allem der Konflikt zwischen Mansoor und seinem inzwischen erwachsenen Sohn spitzt sich immer weiter zu.

In der Nacht der Bestimmung, der wichtigsten Nacht des Ramadan, in der sich das Schicksal für das kommende Jahr entscheidet, ereignet sich eine schreckliche Tragödie, die das Leben der Visrams für immer verändern wird, und die sie zwingt, sich endlich den Geistern der Vergangenheit zu stellen.

Aus dem Englischen von Jan Karsten. CulturBooks. 296 Seiten. 22 €. Erscheint im Frühjahr 2021.

Susanne Kerckhoff: Berliner Briefe. Ein Briefroman.

Wie kaum eine Autorin ihrer Zeit hat Susanne Kerckhoff den Verlust der moralischen Integrität der Deutschen, ihre Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus und die Frage der daraus resultierenden geistigen Neuorientierung zum Mittelpunkt ihres literarischen Schaffens gemacht.
Ein bedeutendes Zeugnis dieser Auseinandersetzung ist ihr kurzer, 1948 erschienener halbfiktiver Briefroman Berliner Briefe. In diesem Buch richtet Helene, eine im zerstörten Berlin lebende Frau, nach Kriegsende dreizehn Briefe an ihren nach Paris emigrierten jüdischen Jugendfreund Hans. Antworten ihres Freundes erhält sie nicht (oder sie werden den Leserinnen und Lesern bewusst vorenthalten) – so sind die Berliner Briefe eine aufrichtige und nichts beschönigende Selbstbefragung, ein beklemmender Rückblick und zugleich eine Bestandsaufnahme über die Gemütszustände der Deutschen, zwei Jahre nach Kriegsende und zu Beginn der Nürnberger Prozesse.

Herausgegeben von Peter Graf. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis. 112 Seiten. 20 €.

Thomas Böhm/Carsten Pfeiffer (Herausgeber): Die Wunderkammer der deutschen Sprache.

Die deutsche Sprache kann noch viel mehr! Dank ihres Reichtums an Dialekten, Lehnwörtern und Synonymen ist sie vielfältig wie kaum eine andere. Dieses Buch schwelgt in ihren Schönheiten, Merkwürdigkeiten und wundersamen Hervorbringungen.
Von Anagrammen und Palindromen über Bildgedichte des Barock bis zur Gegenwart, von Homonymen und Synonymen und dem gültigen Buchstabieralphabet, von deutschen Lehnwörter in anderen Sprachen, von Wörtern und Unwörtern des Jahres, paradoxen Wörtern und beliebten sowie aus der Mode gefallenen deutschen Vornamen, von der Vielfalt der Begriffe für Farben über die regionale Verbreitung von Dialekten bis zu einem Vergleich Küchen-Österreichisch mit Küchen-Deutsch und falschen Anglizismen bietet Ihnen dieses Füllhorn einen eigenwilligen, vielfach überraschenden und manchmal kuriosen, immer aber neuen Zugang zum Reichtum und zur Lebendigkeit der deutschen Sprache. Auch unzählige Fremd- und Lehnwörter aus anderen Sprachen haben seit jeher Einzug in sie gehalten – aus dem Lateinischen, (Alt)Griechischen, Englischen, Französischen, Arabischen, Türkischen, Italienischen, Jiddischen u.v.m.
Sprache lebt und hat schon immer Grenzen von Staaten und Sprachräumen erfolgreich überwunden. Lange vor EU, Schengen, und neu erstarkenden Nationalismen.

Verlag Das Kulturelle Gedächtnis. 304 Seiten. 28 €

Maria Nurowska: Briefe aus Katyn.

Polen vor dem 2. Weltkrieg: Janina, eigenwillige Tochter aus gutem Hause, träumt vom Fliegen und lässt sich zur Pilotin ausbilden. Im Juni 1939 heiratet sie ihren Fluglehrer Mieczysław Lewandowski. Doch nach Kriegsausbruch gerät Janina bei einem Einsatz in russische Kriegsgefangenschaft. Als einzige Frau im Lager der polnischen Offiziere erhält sie einen separaten Schlafplatz, den sie sich mit einem kleinen Hund teilt. Die Männer begegnen der mutigen Fliegerin ausnahmslos mit Respekt, schon bald gilt sie als »gute Seele« des Lagers. Regelmäßig schreibt sie Briefe an ihren Mann, die sie in ihr Tagebuch notiert. Ein halbes Jahrhundert später, Lewandowski lebt inzwischen im Exil, erhält er ein Päckchen aus Breslau …

Aus dem Polnischen von Marta Kijowska. Ebersbach & Simon. 240 Seiten. 22 €

Eliah Lüthi (Hrsg.): be_Hindert & ver_Rückt. Worte_Gebärden_Bilder finden.

Dieses Buch verbindet rund 40 Beiträge von Menschen, die verRückt und/oder beHindert werden. In autobiographischen und fiktionalen Erzählungen, Gedichten, Kurzgeschichten, Bildern und Klängen suchen und finden die Autorinnen selbstbestimmte Worte_Gebärden_Bilder für sich und Welt. An einigen Stellen erkunden sie die Beziehung zu ihren eigenen Körpern, zum eigenen Wahrnehmen und Fühlen. Sie schaffen dabei Verbindungen zu sich selbst, Natur und Menschen. An anderen Stellen beschreiben sie, wie das eigene Er_leben erschwert wird, in einer Welt, die viele Hindernisse und Barrieren schafft. Einige Beiträge diskutieren, wie das zusammenhängt mit weiteren gesellschaftlichen Benachteiligungen, wie Rassismus und transDiskriminierung. Dabei eröffnen die Beiträge liebevoll, empowernd, poetisch, humorvoll, zärtlich und wütend neue Wege und Wahrnehmbarkeiten.

Edition Assemblage. 239 Seiten. 12 €

Semra Ertan: Mein Name ist Ausländer / Benim Adım Yabancı. Gedichte / Şiirler.

Semra Ertan, geboren 1957 in der Türkei, zog 1972 zu ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland. Sie arbeitete als technische Bauzeichnerin, Schriftstellerin und Dolmetscherin und schrieb über 350 Gedichte und einige Satiren. 1982 verbrannte sich Semra Ertan in Hamburg, um ein Zeichen gegen den Rassismus in Deutschland zu setzen.
In ihren Gedichten behandelt Semra Ertan ihre Erfahrungen als Migrantin in Deutschland, die aber durchaus für eine Generation junger Migrant_innen stehen. Auch Diskriminierungen, die sie als Frau erfährt, finden in ihren Texten Platz. Viele Gedichte drücken die Trauer aus, die die Dichterin in ihren Jahren in Deutschland begleitet, aber auch ihre Wut über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten und ihren Mut sich diesen entgegenzustellen. Und ebenso die Liebe, die sie in sich trägt, findet ihren Ausdruck.

Hrsg. von Zühal Bilir-Meier und Cana Bilir-Meier. Edition Assemblage. ca. 240 Seiten. 15 €. Erscheint Mitte Dezember 2020.

Jean-Philippe Toussaint: Der USB-Stick.

Jean Detrez ist als Leiter einer Abteilung der Europäischen Kommission mit Zukunftsforschung befasst. Er ist Zukunftsexperte – aber kein Experte seiner eigenen Zukunft. Diese hat sich seit seiner Trennung von Diane in Luft aufgelöst. Die Kommission beauftragt ihn mit einer Machbarkeitsstudie: Eine rein europäische Blockchaintechnologie soll künftig die Unabhängigkeit von China und den USA gewährleisten. Nachdem Detrez seine Ergebnisse im Europäischen Parlament vorgestellt hat, wird er von zwei Lobbyisten zur Seite genommen. Aus Neugier lässt sich Detrez auf konspirative Treffen in dunklen Hotelbars ein. Nach der letzten Begegnung findet er einen USB-Stick auf dem Boden, den einer der beiden dort verloren hat. Detrez prüft den Inhalt und stößt auf Ungeheuerliches: Es geht nicht um Forschungszwecke, sondern um Bitcoins und den geheimen Auftrag einer chinesischen Firma. Um den Betrug aufzudecken, nimmt er kurzentschlossen einen Flieger nach China, statt wie geplant direkt zu einer Konferenz nach Japan zu reisen. Für 48 Stunden weiß niemand auf der Welt, wo er sich befindet.

Der Plot über internationale Cyberkriminalität erzeugt große Spannung, und doch lesen wir einen Roman von Jean-Philippe Toussaint.

Aus dem Französischen von Joachim Unseld. Frankfurter Verlagsanstalt. 192 Seiten. 22 €

Elsa Köster: Couscous mit Zimt.

Zigaretten, Cognac und Bücher – ihre letzten Jahre verbringt die über hundertjährige Lucile am liebsten lesend im Bett ihrer Pariser Wohnung. Als kurz nach Luciles Tod auch ihre Tochter Marie stirbt, erbt Lisa das Appartement in der Avenue de Flandre. Ihr bleiben nur noch die Erinnerungen an die zwei eigenständigen, vom Leben gezeichneten Frauen der Familie. Das Verhältnis von Mutter und Großmutter war explosiv. Die starke, aber auch selbstbezogene Französin Lucile musste nach der Unabhängigkeit Tunesiens mit ihren Töchtern überstürzt nach Frankreich fliehen, ein Heimatverlust, den die in Tunesien geborene, temperamentvolle Marie nie verwunden hat. „Fische haben empfindliche Füße“, pflegte Marie zu sagen, die immer wieder ins Straucheln geriet bei dem Versuch, im neuen Land Fuß zu fassen. Der schmerzhafte Abschied von Tunesien, die erste dramatische Liebe im Pariser Mai 1968, die Flucht vor den Übergriffen Luciles nach Berlin, wo Lisa Jahre später zur Welt kam – von all dem hat Marie ihrer Tochter erzählt. Doch kann Lisa den Erzählungen ihrer Mutter trauen?

Frankfurter Verlagsanstalt. 448 Seiten. 24 €

Antanas Škėma: Apokalyptische Variationen.

Antanas Škėma (1910–1961) arbeitete sein ganzes Leben daran, das von ihm Durchlebte in Literatur zu verwandeln. Sein einziger Roman, »Das weiße Leintuch«, gibt Zeugnis von seinem New Yorker Exil. Daneben sind aus allen Phasen seines Lebens literarische Stücke überliefert: Erzählungen, Skizzen, Szenen und Verdichtungen. Es sind in Blickwinkel und literarischer Gestaltung einzigartige Schlüsselszenen der Weltgeschichte: die Kindheit während des Ersten Weltkriegs und des Bürgerkriegs in der russischen und ukrainischen Provinz, Schulzeit und Studium, frühe literarische Versuche im unabhängigen Zwischenkriegslitauen sowie unter sowjetischer und deutscher Besatzung, die dramatische Flucht vor den Sowjets, das Leben als displaced person in Thüringen und Bayern und als Neuankömmling in Chicago und New York. All das spiegelt sich in facettenreichen Prosastücken.

„Apokalyptische Variationen“ umspielt die Verheerungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den Riss, der die Existenzen durchzieht. Schreibend vergewissert sich Škėma seiner Biografie und versucht Sinn und Bedeutung in ihren Splittern aufzuspüren. Wir können lesend nachvollziehen, wie sich die Aussichtslosigkeit in seine Sprache einschreibt, wie diese immer mehr zerspringt, sich auflöst – und wie aus der sprachlichen Entgrenzung eine ganz neue Form entsteht. Claudia Sinnig greift in ihrer Übersetzung die Vielfalt von Škėmas Erzählstilen auf, schürft tief im Sprachmaterial, lotet Trauer und Dunkelheit aus und geht auch der Hoffnung und dem Vorwärtsstreben auf den Grund. Erlösung findet sich vielleicht nicht in Škėmas Leben, aber in seiner Literatur.

Aus dem Litauischen und mit einem Nachwort von Claudia Sinnig. Guggolz Verlag. 421 Seiten. 25 €

Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand.

Bombay, 1764. Indien stand nicht auf dem Reiseplan und Elephanta, diese struppige Insel voller Schlangen und Ziegen und Höhlen mit den seltsamen Figuren an den Wänden, schon gar nicht. Doch als Forschungsreisenden in Sachen »biblischer Klarheit« zieht es einen eben an die merkwürdigsten Orte. Carsten Niebuhr aus dem Bremischen ist hier gestrandet, obwohl er doch in Arabien sein sollte. Ebenso Meister Musa, persischer Astrolabienbauer aus Jaipur, obwohl er doch in Mekka sein wollte. Man spricht leidlich Arabisch miteinander, genug, um die paar Tage bis zu ihrer Rettung gemeinsam herumzubringen. Um sich öst-westlich misszuverstehen und freundlich über Sternbilder zu streiten (denn wo der eine eine Frau erkennt, sieht der andere lediglich deren bemalte Hand). Es könnte übrigens alles auch ein Fiebertraum gewesen sein. Doch das steht in den Sternen.

Berenberg Verlag. 168 Seiten. 22 €

Peter Kessler/Julia Köhler/Leonie Petzold u. a. (Hrsg.): Ich bin mehr. Junge Geflüchtete erzählen.

Die sogenannte »Flüchtlingskrise« erreichte Europa im Jahr 2015. Bis heute, fünf Jahre später, reißen schockierende Nachrichten von den südöstlichen EU-Außengrenzen und den europäischen Flüchtlingslagern wie Moria in Griechenland nicht ab. Das Thema bestimmt nach wie vor politische Debatten und wird allzu oft instrumentalisiert. Meist vergessen wir dabei, dass hinter dieser Flut von Nachrichten, hinter den Zahlen, die in diesem Zusammenhang genannt werden, immer Menschen mit individuellen Schicksalen stehen.
Vier Studierende der Evangelischen Hochschule Nürnberg wollen diesen einzelnen Schicksalen Gehör verschaffen. Sie haben mit jugendlichen Geflüchteten, welche mittlerweile in Nürnberg und Umgebung eine neue Heimat gefunden haben, den Dialog gesucht, um sich deren Geschichten erzählen zu lassen und diese anschließend aufzuschreiben. So entstand in enger Zusammenarbeit mit sieben jungen Geflüchteten aus fünf verschiedenen Herkunftsländern eine Sammlung bewegender und sehr persönlicher Berichte. Mit ihren Geschichten möchten die Jugendlichen zeigen, dass sie mehr sind als nur eine Zahl in den Nachrichten.

Herausgegeben von Peter Kessler, Julia Köhler, Leonie Petzoldt und Tobias Rettich. homunculus Verlag. 80 Seiten. 8 €

Rob van Essen: Der gute Sohn.

Die nahe Zukunft: Zwei 60-jährige Männer begeben sich auf eine geheimnisvolle Mission, deren wahren Zweck nur einer von beiden kennt. Der andere, ein zwischen Meditationskurs und Groll gefangener Schriftsteller, hat vor Kurzem seine Mutter begraben. So beginnt kurzerhand eine kuriose Reise durch eine Welt, die sich für uns genauso ungewohnt anfühlt wie für den gealterten Erzähler: eine Welt mit bedingungslosem Grundeinkommen, gesprächigen selbstfahrenden Autos und ironischen Robotern.
Gleichzeitig beginnt eine Reise in die Vergangenheit eines Sohnes, der nach dem Tod seiner Mutter Bilanz zieht. Die Fahrt ins Ungewisse wird letztendlich zu einer Suche nach der Kompatibilität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Der gute Sohn ist ein Buch voller bizarrer Begebenheiten und unerwarteter Wendungen. Es ist Dystopie, Thriller, autobiografisches Zeugnis und absurder Road-Novel zugleich. Noch nie wurden existenzielle Themen wie Tod, Altern, Erinnern und Vergessen mit solch sprudelnder Leichtigkeit und solch trockenem Witz behandelt.

Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure. homunculus Verlag. 384 Seiten. 25

Verena Stauffer: Ousia. Gedichte.

Was ist nun mit den Vorkommen der Erde? Werden die Menschen je in ihr aufgehoben sein? Werden sie flüchten? Wer besitzt das glitzernde wieder und wieder sich selbst gebärende Öl, Wasser oder Gletscherland? Diese goldenen Schleifen Besitz. Die Besitzerin, dass ich nicht lache, verkauft sie als kringelnde Ornamente. So vieles entschlüpft der Mutter im Denken, Nahendes dreht ihre Kinder in unüberblickbare Ringe. Para dies, Flößerei, Der schwarze Fluss: Die Trias einer Flusslandschaft, die seit Jahrhunderten für die Gegend um das oberösterreichische Molln
unterschiedlichste Bedeutung hatte. Nennt es Ousia – das in tausend Stücke zerbrochen und nun wieder zusammengesetzt wird.

kookbooks. 120 Seiten. 19,90 €

Kristof Magnusson: Ein Mann der Kunst.

Ein berühmter Maler, der zurückgezogen auf einer Burg am Rhein lebt, Kunstfreunde, die ihn verehren und ihm ein Museum bauen wollen: eine Begegnung, die die Höhen und Tiefen des Kulturbetriebs ausleuchtet, so heiter, komisch und wahr, wie es selten zu lesen ist. KD Pratz ist ein Künstler der alten Schule, der sich jeglicher Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb verweigert hat. Seine Bilder werden hoch gehandelt, er ist weltberühmt, hat sich aber aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Mit der Welt, verlogen wie sie ist, will er nichts zu tun haben, der eigene Nachruhm aber liegt ihm am Herzen, und so sagt er zu, den Förderverein eines Museums zu empfangen, der den geplanten Neubau ausschließlich seinen Werken widmen will.
Die Mitglieder des Museums-Fördervereins sind nicht alle einer Meinung über die Bedeutung von KD Pratz, fühlen sich aber hoch geehrt, als ihnen ein exklusives Treffen mit dem Maler und ein Besuch auf seiner fast schon legendären Burg am Rhein in Aussicht gestellt wird und tatsächlich stattfindet. Wie die Kunstfreunde bei dieser Begegnung mit ihrem Idol nach und nach die Contenance verlieren, als der Meister ihnen die Unvollkommenheit der Welt und ihre eigene um die Ohren haut, dabei subtil die eigene Größe inszeniert, den Kunstbetrieb niedermacht und gleichzeitig behauptet davon erzählt Kristof Magnusson mit großer Meisterschaft und leuchtet die Untiefen unseres Kulturbetriebs aus.

Verlag Antje Kunstmann. 240 Seiten. 22 €

Khaled Alesmael: Selamlik.

Furat ist als eines von sechs Geschwistern in einer gutbürgerlichen Familie in Syrien aufgewachsen. Den Tod von Diktator Hafiz al-Assad erlebt er 2000 im Studentenwohnheim von Damaskus gemeinsam mit der ersten großen Liebe seines Lebens. Hartnäckig erkundet er die »heimliche Revolution«, das verborgene Leben homosexueller Männer in Damaskus, ihre Parks, Saunen und Pornokinos. Der Terror des Bürgerkriegs trifft die Schwulen gleich doppelt: Islamistische Rebellen machen gezielt Jagd auf »die Leute von Lot«, stürzen sie von Hochhäusern in den Tod. Als das Haus der Familie in die Schusslinie der Kampftruppen gerät, macht sich Furat auf den Weg nach Norden. Auf der Flucht und im schwedischen Asylantenheim begegnen ihm seine arabischen Landsleute weiterhin mit unverhohlener Homophobie. In seinem Zimmer mit Blick auf den Friedhof von Åseda beginnt Furat, die Geschichte seines Lebens aufzuschreiben.

Übersetzung von Christine Battermann und Joachim Bartholomae. Albino Verlag/Salzgeber. ca. 280 Seiten. 24 €

Eliot Weinberger: Neulich in Amerika.

Eliot Weinberger ist nicht nur einer der originellsten Essayisten, er ist auch einer der schärfsten politischen Kommentatoren der USA. In seinen brillanten und bissigen Texten über die Machenschaften unter den Regierungen Bush und Trump lässt er die Fakten sprechen: Er trägt Nachrichtendetails und Aussagen von Politikern zusammen und führt uns damit den Wahnsinn, der in den USA zum Alltag geworden ist, noch einmal vor Augen. Seien es der Irakkrieg – das Stück »Was ich hörte vom Irak« wurde international berühmt –, so fromme wie homophobe Republikaner, Konzentrationslager für geflüchtete Kinder, Rassismus oder schlicht die Überlegenheit amerikanischer Weine gegenüber französischen.
Weinbergers glasklare Essays sind eine Chronik des galoppierenden Irrsinns.

Herausgegeben von Beatrice Faßbender. Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender, Eike Schönfeld und Peter Torberg. Berenberg Verlag. 272 Seiten. 16 €

Martina Altschäfer: Andrin.

Susanne ist Schriftstellerin und Ghostwriterin. Als sie für einen ebenso zahlungskräftigen wie unsympathischen »Premium«-Kunden eine geschönte Autobiografie verfassen soll, ist sie nahe am Verzweifeln. Ihr Verleger stellt ihr kurzerhand seine Ferienwohnung in Italien zur Verfügung, um sie zu motivieren. Doch auf der Reise in den Süden verhindert mitten in den Schweizer Alpen ein Steinschlag die Weiterfahrt. Unversehens gerät Susanne nach Voglweh, eine kleine verfallene Siedlung in einem Hochtal mit lediglich zwei Bewohnern, die kaum eine Verbindung zur Außenwelt haben und sich selbst versorgen. Aus ursprünglich einer Notübernachtung werden Tage, Wochen, Monate. Ohne Telefon und Internet, ohne Zwänge und Verpflichtungen.

Mirabilis Verlag. 280 Seiten. 20 €

Sharon Bala: Boat People.

Als ein verrostetes Frachtschiff mit 500 tamilischen Flüchtlingen die Küstengewässer der Vancouver Island erreicht, glaubt Mahindan, dass er und sein sechsjähriger Sohn Sellian ein neues Leben beginnen können. Stattdessen wird Sellian den Armen seines Vaters entrissen, und Mahindan wird zusammen mit den anderen Flüchtlingen ins Gefängnis geworfen. In Regierungskreisen und den Medien kursieren Gerüchte, dass sich unter den Boat-­People Mitglieder einer gefürchteten Terrormiliz eingeschlichen haben. Angesichts zunehmender Verdächtigung und endloser Verhöre muss Mahindan befürchten, dass das, was er notgedrungen und in letzter Verzweiflung tun musste, um zu überleben und aus Sri Lanka zu flüchten, ihm und seinem Sohn jetzt die Aussicht auf Asyl versperrt …

Aus dem Englischen von Angelika Arend. Mitteldeutscher Verlag. 280 Seiten. 28 €

Barbaros Altuğ: Sticht in meine Seele.

Derin ist Journalistin. Sie ist so türkisch wie französisch und lebt in Paris. Als sie sich gerade auf den Weg machen will, um über einen ermordeten Kollegen in Istanbul zu schreiben, begegnet ihr kurz vor dem Abflug ein Armenier. Seine Geschichte fesselt sie, wirft aber auch Rätsel auf. In Istanbul angekommen, beginnt sie zu recherchieren und eine so irritierende wie dramatische Suche beginnt, deren Ergebnis sie vollkommen erschüttert.

Aus dem Türkischen von Johannes Neuner. Orlanda Verlag. 152 Seiten. 16 €

Wolfgang Hermann: Der Lichtgeher.

Es ist Noël, der nach der Ermordung seiner Freundin als Flüchtling in Mitteleuropa landet, wo er nach einiger Zeit als beliebter Barkeeper Fuß fasst. Sein einzigartiger Charme, sein Witz, seine menschliche Wärme sind es, die ihm Türen öffnen. Zwischen Noël, Martha, ihrem gemeinsamen Sohn Julian, sowie Hans, der in Noël zum ersten Mal einen Menschen erkennt, der ihn sieht und akzeptiert, wie er ist, entspinnt sich ein dichtes Netz aus Nähe.

PalmArtPress. 134 Seiten. 20 €

Shinsuke Yoshitake: Die Buchhandlung der Wünsche. Graphic Novel.

Dies ist die Geschichte eines Buchhändlers, der alle Wünsche erfüllt – (tun sie das nicht alle?). Immer findet er das perfekt passende Buch, immer gelingt es ihm, Menschen zu beglücken, die Bücher lieben. In seinen Regalen findet man Bücher, die man nur bei Vollmond entziffern kann und solche, die speziell für Verliebte gemacht sind. Ratgeber über Anbau und Pflege von Bäumen, die Bücher als Früchte tragen und einen Reiseführer zur größten Unterwasserbibliothek der Welt.

Dies ist die Geschichte einer Buchhandlung voller Wunder für alle, die lesend und staunend neue Welten erschließen, ihren Horizont erweitern und Ideen kennenlernen wollen, die das Leben verändern. Für alle, die zwischen den Seiten eines Buches Träume suchen und finden – oder einfach eine kleine Pause vom Alltag. Für alle, die fest davon überzeugt sind, dass Bücher vielleicht noch kein Garant sind für ein glückliches Leben – aber ganz sicher ein wesentlicher Baustein.

Übersetzung von Silvia Chiarini und Nicole List. Verlag Hermann Schmidt. 104 Seiten. 15 €

Seweryna Szmaglewska: Die Frauen von Birkenau.

In Die Frauen von Birkenau schildert Seweryna Szmaglewska ihre verstörenden Erlebnisse als politische Gefangene im Frauenlager von Auschwitz-Birkenau. Noch 1945, fast sofort nach ihrer Flucht im Januar, schrieb sie fieberhaft ihre Erinnerungen nieder, die ein wichtiges Zeugnis bei den Nürnberger Prozessen wurden. In einer ganz besonderen Erzählperspektive, ohne »ich« zu sagen, fängt sie darin nicht nur die Alltagswelt des Lagers ein, sondern auch berührende Einzelschicksale von Frauen aus ganz Europa. Da ist die Schauspielerin aus Wilna, die auch in der Baracke Texte deklamiert, da ist das Mädchen aus Thessaloniki mit seinen traurigen Liedern und da sind die Musikerinnen des Frauenorchesters.
Wie mit einem Kameraauge zeichnet Seweryna Szmaglewska die desolate Verfassung der Gefangenen, die harte Arbeit und die Grausamkeiten der SS auf, aber sie beschwört auch den geistigen Austausch und den kulturellen Reichtum im Lager, mit dem die Frauen sich gegenseitig ermutigen und so ihre Würde zu wahren wissen. Die Frauen von Birkenau ist ein erschütterndes Buch und ein eindringliches Plädoyer für Menschlichkeit.

Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Marta Kijowska. Schöffling & Co. 456 Seiten. 28 €

Ulrike Almut Sandig: Monster wie wir.

Ruth spielt Geige und hat Angst vor Vampiren. Sie wächst in einem Pfarrhaus in der ostdeutschen Pampa auf. Aber Gott ist kein Parteisekretär, um dessen Schutz man buhlen könnte. Ihr bester Freund Viktor hat einen Mondglobus und Falten im Gesicht. Er fürchtet sich nur vor seinem Scheißschwager. Aber dann findet er diesen Schalter in seinem Kopf, um rein gar nichts zu empfinden. Und wird selbst zum Fürchten.
Was Gewalt bedeutet, wissen sie beide. Hier, wo der Braunkohleabbau ganze Dörfer und Wälder verschlingt, hilft man sich am besten selbst. Viktor macht jeden Tag Sit-ups und rasiert sich eine Glatze. Dass einer wie er als Au-Pair nach Frankreich geht, versteht niemand. Doch für Viktor ist es überall besser als zu Hause. Und Ruth? Die flüchtet sich ins Geigenspiel.
Wohin es die beiden auch verschlägt, überall werden sie von Gewalt eingeholt. Wann also schaut Ruth von ihrer Geige auf? Und vor allem: Wie rettet man einander?

Schöffling & Co. 240 Seiten. 22 €

Elvia Wilk: Oval.

Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin haben Stadtentwickler einen künstlichen Berg mit einer Vorzeige-Siedlung für nachhaltiges Leben errichtet. Dort wohnt die junge Wissenschaftlerin Anja mit ihrem Freund Louis, der an der Entwicklung einer Designer-Droge arbeitet: Oval soll die Menschen großzügiger machen und dadurch die wachenden sozialen Spannungen lösen, denn in der Stadt herrscht längst Endzeitstimmung.
Das Wetter spielt verrückt, Apps verwandeln menschliche Beziehungen in Ware, bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper, weil ein Immobilienunternehmen im Namen der Nachhaltigkeit alles luxussaniert. Anja bleibt skeptisch, und so zersetzt sich ihre Beziehung zu Louis, während ein wahrer Oval-Exzess die Stadt erfasst, bis sie entsetzt feststellt, dass die Machenschaften des Immobilienunternehmens viel weiter reichen, als angenommen.
Oval fragt, was geschieht, wenn alles so weitergeht. Elvia Wilk entwirft dabei ein erschreckendes Berlinbild der Zukunft, gerade weil es konsequent an die Gegenwart anschließt.

Aus dem Englischen von Julia Wolf. Secession Verlag für Literatur. 360 Seiten. 28 €

Germano Almeida: Der treue Verstorbene.

Germano Almeida ist der bekannteste Autor der kapverdischen Inseln. In seinem 2018 erschienenen Roman »Der treue Verstorbene« präsentiert er uns einen satirischen Blick auf seine Heimat, auf eine postkoloniale Gesellschaft, die sich inzwischen als moderne Demokratie versteht, eine der wenigen in ganz Afrika. Auslöser der Geschichte ist die Ermordung des berühmtesten Schriftstellers der Inseln, der unmittelbar vor der Präsentation seines lang erwarteten neuen Buches von seinem besten Freund erschossen wird. Was wie ein Krimi beginnt, nimmt jedoch bald einen weitaus spannenderen Weg. Almeida entfaltet das durch den Mord ausgelöste opulente Geschehen, von der Aufbahrung des Toten im Palast des Volkes bis zum Staatsbegräbnis mit Präsident, Premier und anderer Prominenz. Gleichzeitig erzählt er von der Freundschaft der beiden Männer sowie in die Vorgeschichten der anderen beteiligten Personen, besonders der zwischen ihnen, dem Toten und seinem Mörder, stehenden Frau. Mit leichter Hand und viel Freude am Erzählen schreibt Almeida über deren Leben auf den Inseln, in Afrika oder in Lissabon und bietet so auch eine Geschichte des Lebens auf den Kapverden. Leserinnen und Leser dürfen sich auf eine schöne, erkenntnisreiche Entdeckung freuen.

Aus dem Portugiesischen übersetzt von Michael Kegler. Transit Verlag. 320 Seiten. 24 €. Erscheint Anfang Oktober.

Inge Deutschkron: Emigranto.

»Emigranto« wurde scherzhaft das Sprachengemisch genannt, das deutsche Emigranten in ihren neuen Ländern sprachen. Inge Deutschkron schreibt von der Not, sich aus existentiellen Gründen möglichst schnell in einer neuen Sprache ausdrücken zu müssen und über die manchmal unfreiwillig komischen Ergebnisse.
Irgendwann, beim Aufräumen in ihrer Wohnung in Tel Aviv, fand Inge Deutschkron ein zerfleddertes blaues Heft mit dem Aufdruck »County High School, Redditch«. Und darin, mit verschiedenen Stiften und Füllfederhaltern schnell notiert, eine Sammlung englischer Ausdrücke, Sätze oder Dialoge, die alle eines gemeinsam hatten: sie waren »deutsches« Englisch, also falsches, mißverständliches Englisch. Die Autorin, angeregt von diesem Heft, erzählt von der schwierigen Situation besonders älterer Menschen, sich in und mit einer anderen Sprache zurechtzufinden, gerade dann, wenn sie beruflich auf sprachliche Gewandtheit angewiesen waren. Sie erzählt ebenso von der schnellen Eingewöhnung von Kindern und Jugendlichen in die neue Umgebung und Sprache, oft mit dem Ergebnis, daß sie für ihre Eltern den Dolmetscher spielten oder aber, daß sie mit ihren Geschwistern oder Freunden schon bald nicht mehr Deutsch, sondern Englisch in England, Hebräisch in Palästina etc. sprachen, so daß sie erstens schnell ihre Deutschkenntnisse verloren und zweitens von ihren eigenen Eltern nicht mehr verstanden wurden.

Transit Verlag. 93 Seiten. 9,80 €

Jana Volkmann: Auwald.

Judiths Lieblingswort ist Akribie: Sie ist Tischlerin, und was sie mit den Händen herstellt, gelingt. Holzarten erkennt sie am Geruch. Menschen dagegen sind ihr ein Rätsel. Ob Silvester in Berlin oder ein Sonntagsfrühstück in Wien mit ihrer Freundin Lin – nie ist sie so einsam wie in Gesellschaft anderer. Dann steigt sie allein auf ein Schiff und alles verändert sich. Ein Ereignis, das andere als Katastrophe bezeichnen würden, ist für Judith die beste Gelegenheit, von vorn anzufangen. Zwischen Wien und Bratislava spielt dieser Roman über die Schönheit des Zufalls, über Einsamkeit – und über Komplizenschaft.

Verbrecher Verlag. 184 Seiten. 20 €

Ralph Hammerthaler: Kosovos Töchter.

Anton, ein früherer deutscher Soldat, kehrt nach gut fünfzehn Jahren nach Kosovo zurück, wo er 1999 mit der Nato eingerückt war. Er hatte damals vor einer serbischen Kirche Wache gehalten, da Racheakte seitens der Albaner befürchtet wurden. Hier suchte ihn täglich ein albanisches Mädchen auf, das er nun wiederzufinden hofft. An einer schweren Krankheit leidend, hat er sich in den Kopf gesetzt, eine verpasste Chance nachzuholen. In der Hauptstadt Prishtina mietet Anton ein Apartment. Erst nach und nach fällt ihm auf, dass in seinem Wohnblock ausschließlich Frauen wohnen. Hier erfährt er von einer feministischen Bewegung, die sich gegen die zählebigen patriarchalen Traditionen richtet.

Quintus Verlag. 232 Seiten. 22 €

Beka Adamaschwili: In diesem Buch stirbt jeder.

ls Memento Mori eines Morgens aus unruhigen Träumen erwacht, findet er heraus, dass er eine Romanfigur ist und die Superkraft hat, durch Bücher zu reisen. Er setzt sie gegen die gnadenlosen Autorinnen und Autoren der Weltliteratur ein, indem er versucht, ihre Figuren vor dem sicheren Tod zu bewahren: Romeo und Julia etwa will er vom Selbstmord abhalten, und Professor Moriarty stößt er selbst den Reichenbachfall hinunter, um Sherlock Holmes zu helfen. Doch dann erfährt Memento Mori, dass in seinem eigenen Roman jemand sterben soll, und er beschließt, alle Figuren zu retten. Aber sein Gegner ist der allmächtigste Antagonist aller Zeiten – der Autor selbst…

Aus dem Georgischen von Sybilla Heinze. Verlag Voland & Quist. 208 Seiten. 25 €

Barbara Juch: Barbara. Gedichte.

Welche Sprache spricht man zwischen Kärnten und New York, Hauptschule und Kunstuniversität, zwischen Schwimmverein und Burgtheater? Das Debut von Barbara Juch ist kompromisslos: Barbara bekennt sich zur Provinz wie zur Akademie, zum Sport wie zum Volkslied, zur Familie wie zur Kunst. Dass dabei Schuld zurückbleibt, ist nicht gewollt, sondern notwendig: »mein name ist barbara / aber mit kuli aufschreiben / würde ich das noch nicht«. Juchs Sprache ist hemdsärmlig und verletzlich zugleich — daraus schöpft sie eine Unmittelbarkeit, die Sport, Affären und soziale Klasse in einen Gedichtband fasst: „und warum sollte etwas / das du schon imma kanntest / nicht das schönste sein / das du noch heute kennst“.

Verlagshaus Berlin, Edition Zwanzig. 48 Seiten. 9,90 €

Giulia Caminito: Ein Tag wird kommen.

Eine italienische Familiengeschichte in Zeiten des aufkeimenden Faschismus, ein politischer Roman über Schuld und Anarchie, Widerstand und unverwüstliche Hoffnung – in einer Sprache, so zärtlich-rau wie die Liebe zwischen zwei Brüdern.
An diesem Ort der Habenichtse zählt der Einzelne bloß, wenn er arbeitet, gehört keinem Bauern das Land, das er bestellt. In der Familie des Bäckers Ceresa überlebt kaum ein Kind, bald sind nur noch zwei Söhne übrig, so grundverschieden wie unzertrennlich: Nicola, der schwächliche Junge mit dem Prinzengesicht, und der aufsässige Lupo, der sich schon früh den Anarchisten anschließt. Unermüdlich beschützt Lupo den ängstlichen Bruder, kämpft gegen die Ungerechtigkeit der Mächtigen und die Märchen der Kirche. Doch zwischen den Brüdern steht eine Lüge, verborgen hinter Klostermauern.

Aus dem Italienischen von Barbara Kleiner. Verlag Klaus Wagenbach. 272 Seiten. 23 €

Thomas Brussig: Die Verwandelten.

Bräsenfelde ist ein Kaff in der Provinz, das man sich ungefähr so vorstellen muss, wie es heißt. Und dennoch begibt sich dort Aufregendes, Weltbewegendes: In der Waschanlage einer Tankstelle verwandeln sich Fibi und Aram, zwei übermütige Jugendliche in Waschbären. Was wie ein Witz anmutet, den niemand glauben kann, wird unabweisbare Realität, der man sich stellen muss. Keine kleine Zumutung für ihre Familien, die Mitschüler und vor allem für sich selbst.
Hält dieser Blödsinn einer medizinischen Untersuchung stand? Beim Veterinär? Oder beim Kinderarzt? Was sagt der Genetiker? Wie steht es um die juristischen Implikationen? Menschenrechte? Kinderrechte? Tierrechte? Geht das wieder weg? Und wenn nicht, lässt sich das Wunder touristisch nutzen, finanziell? Auf jeden Fall muss das ganze medial groß aufgezogen werden. Bald reisen Reporterteams aus aller Welt an, Stars und Sternchen kommen in die von Fibi moderierte tägliche Show, um sich von einem Waschbären befragen zu lassen. Aber was wird aus Fibi und Aram?

Wallstein Verlag. 328 Seiten. 20 €

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