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Ein Monument für Mordechai

Uwe von Seltmann: Es brennt: Mordechai Gebirtig, Vater des jiddischen Liedes. homunculus 2018.

Doch der Autor beschäftigt sich auch in allgemeiner Weise mit der jüdischen Kultur, der Geschichte und der politischen Situation des Judentums zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Einen Teil seines Werks widmet der Publizist Uwe von Seltmann dem jüdischen Leben vor dem Zweiten Weltkrieg und während der Shoah. Zudem erhalten zeitgenössische Literaturkritiker und Feuilletonisten sowie Freunden und Weggefährten Gebirtigs das Wort, die die Shoah, anders als Gebirtig, überlebten.

Mit „Es brennt“ würdigt Uwe von Seltmann den bekannten jüdischen Dichter und Liedermacher Mordechai Gebirtig und dessen Lebenswerk, etwa 120 bis heute gesungene jiddische Volkslieder, in voller Breite. In 12 Kapiteln und auf insgesamt über 300 Seiten legt der Autor die Lebensumstände Gebirtigs und sein Liederwerk ausführlich dar.

Jedes der zwölf Kapitel akzentuiert dabei jeweils einen anderen Aspekt des Lebens und Schaffens Gebirtigs: der unbekannte Gebirtig; Gebirtig, der Revolutionär; Gebirtig, der Vater des jiddischen Volkslieds etc. Der Werdegang Gebirtigs dient über weite Strecken als roter Faden des Werkes.

Mordechai Gebirtig wurde wahrscheinlich im Jahr 1877 in Krakau als Sohn von Kaufleuten geboren. Polen befand sich zu diesem Zeitpunkt noch unter österreichisch-ungarischer Herrschaft. Auf seiner Herkunft beruht Gebirtigs ausgeprägtes soziales Gewissen, das in ein häufig sozial engagiertes Liedgut ausstrahlt. Zusammen mit seiner Ehefrau lebte Gebirtig im Krakauer Stadtteil Kazimierz, in welchem zahlreiche Juden lebten. Gebirtig soll nachts an den von ihm überlieferten Liedern geschrieben haben, während er tagsüber als Tischler arbeitete und Möbel reparierte.

1920 erscheint seine erste Sammlung Folkstimlech, die 90 Lieder in seiner Muttersprache Jiddisch enthält. Gebirtig erweckt darin die Welt der kleinen Leute im jüdischen Viertel Krakaus zum Leben. Als sich die Lage der Juden verschlechtert, wird der Ton Gebirtigs kämpferischer, ironischer und beißender. Er schreibt dennoch weiter, bis zu seinem Tod im Jahr 1942. Im Jahr 1938 ruft Gebirtig in dem Lied „Undzer shtetl brent“ in prophetischer Manier zum Widerstand gegen antisemitische Pogrome auf. Im Juni 1942 wird der Dichter und Komponist Gebirtig im Krakauer Ghetto durch einen deutschen Soldaten erschossen.

Die sorgfältige Recherche von Seltmanns, die durch die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit gefördert wurde, lässt sich am Umfang des Werks, an der detailgetreuen Wiedergabe des Lebens und der Lebensumstände Mordechai Gebirtigs und an den in großer Zahl abgedruckten Originaldokumenten ablesen, darunter Abbildungen von Notizbucheinträgen, geographische Skizzen, Liedtexten und Liednoten und zeitgenössische Fotografien. Das Werk ist äußerst reich an Dokumenten, die in einem noblen Layout präsentiert werden.

So ist das Opus „Es brennt“, benannt nach einem der berühmtesten Lieder Gebirtigs über die Shoah, ein Buch von enzyklopädischem Ausmaß, das zum Anlesen, Weiterblättern und Festlesen anregt; eine durchgehende Lektüre von vorn bis hinten erfordert jedoch Disziplin und ein ausgeprägtes Interesse am Sujet des Werkes. Die Leistung von „Es brennt“, erschienen im Erlanger homunculus-Verlag, ist dadurch keineswegs gemindert: Publizist von Seltmann hat Mordechai Gebirtig ein Monument gebaut, ein Denkmal literarischer Natur, dessen Botschaft der Akzeptanz sich festsetzt und nachhallt.

ISBN 978-3-946120-65-0

Der Beitrag erschien auch im Titel Kulturmagazin.

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