Blog Details

  • Home
  • Aus dem Lyrikkabinett: „Streichhölzer“ von Fabian Lenthe

Aus dem Lyrikkabinett: „Streichhölzer“ von Fabian Lenthe

Es gibt Gedichtbände, die man nicht einfach liest, sondern in deren Lücken man selbst hineingezogen wird. Fabian Lenthe, 1985 geboren, ist ein Dichter, der diese Lücken bewusst lässt. Sein neuer Band Streichhölzer, erschienen im XS-Verlag, besteht aus kurzen, genau beobachteten Texten, die lange nachwirken.

Weiterlesen: Aus dem Lyrikkabinett: „Streichhölzer“ von Fabian Lenthe

Lenthe schreibt minimalistisch. Zwei bis drei Strophen genügen ihm, um eine Stimmung auszulösen, ein Motiv oder eine Pointe zu setzen, eine plötzliche Wendung zu nehmen. Manchmal sind die Gedichte so kurz, dass man beim ersten Lesen Gefahr läuft, sie zu übersehen – und genau das scheint Teil des Konzepts zu sein: Sie wollen mehrmals gelesen werden, aus verschiedenen Blickwinkeln.

Der Ton ist von Beginn an gedämpft. Das erste Gedicht spricht von einem nicht existierenden Kirschbaum, von Früchten, die nach nichts schmecken. Es ist eine Umkehrung des Idyllischen, eine Abwehr gegen alles allzu Blühende. Diese Negation zieht sich durch den Band. Sie ist nicht resignativ, eher von einer feinen, fast zärtlichen Melancholie getragen.

Bevor ich einschlafe
Denke ich an den toten Spatz
Der im Sommer
Vom Himmel fiel
Und dass er vielleicht etwas
Von den langen kalten Nächten ahnte
Denen er nicht hätte
Entkommen können

Solche Zeilen zeigen, dass Lenthe keine Furcht vor den großen Themen hat. Tod, Vergänglichkeit, Vergeblichkeit, sie sind hier nicht als Pathos inszeniert, sondern als Teil des Alltags, der sich in Tee, Toast, kaputten Uhren und zufälligen Gedanken spiegelt.

Ein angesprochenes „Du“ taucht immer wieder auf. Es wirkt wie eine Stimme aus der Vergangenheit, die dem Band eine leise Trauerschicht verleiht. Die Widmung „Für Vera (1987–2018)“ deutet darauf hin, dass es sich um ein reales Gegenüber handeln könnte, eine Freundin oder Weggefährtin. Doch Lenthe charakterisiert sie kaum. Das „Du“ bleibt ein angedeutetes Echo, das die Gedichte durchzieht.

Besonders stark und klar ausgearbeitet sind die Passagen, in denen alltägliche Gegenstände wie Streichhölzer, Zigaretten oder ein toter Vogel zu Metaphern für Hoffnung oder Vergeblichkeit werden. Das Gedicht über die versprochenen Streichhölzer ist dafür beispielhaft: Es geht um das Bereitsein für den Notfall, um das Anzünden in der Dunkelheit, vielleicht um das Anzünden einer letzten Zigarette:

Du hattest mir
Streichhölzer versprochen
Du sagtest
Dass es wichtig sei
Immer welche
Bei sich zu haben

Dass man
Im Notfall
Immer etwas

Anzünden könnte

Lenthes Gedichte sind keine schnellen Funken, die sofort verlöschen. Sie sind eher wie kleine Glutnester, die man in sich trägt. Man liest sie einmal, legt das Buch zur Seite – und ein paar Stunden später denkt man wieder daran, ohne es zu wollen. Sie haben diese still brennende Qualität, die gute Lyrik ausmacht.

Dass Fabian Lenthe seit Jahren kontinuierlich publiziert und seine Texte auch online sichtbar macht, fügt sich stimmig in diesen Band ein: Streichhölzer wirkt wie eine konzentrierte Essenz dieser stetigen Produktion, ein Brennpunkt seiner Motive und wiederkehrenden Bilder. Der Nürnberger Dichter veröffentlicht seine Gedichte seit Langem auch auf Instagram und Facebook, stets mit einem ausgeprägten Sinn für Form. Diese Formbewusstheit findet nun in der gedruckten Ausgabe ihre Vollendung: Streichhölzer, erschienen im XS-Verlag, besticht durch ein edles Cover, das mit seinem rot gerahmten Weiß an die Nouvelle Revue Française erinnert, und durch eine sorgfältig gesetzte Typographie, die der Präzision der Texte entspricht.

Am Ende bleibt der Eindruck, dass Lenthe mit wenigen Worten, wenig Zeilen und wenig Platz viel Raum öffnet, für das leise Glimmen der Streichhölzer, das uns durch seine Gedichte überreicht wird und sicher noch öfter begleitet.

Bewertung: 5/5

Infos zum Buch:

Fabian Lenthe: Streichhölzer. Gedichte. XS-Verlag. 2024. 18 Euro. (über *Amazon oder den Verlag)

*Affiliate-Link

Einen Kommentar hinterlassen