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„Eine freie Frau“ von Leïla Slimani

Die französische Bestseller-Schriftstellerin Leïla Slimani verarbeitet mit dem Illustrator Clément Oubrerie die Biographie der Medizinerin Suzanne Noël in Graphic-Novel-Form. Die Protagonistin wurde Ärztin und Chirurgin, als dies für Frauen noch nicht üblich war, und engagierte sich in der frühen Frauenbewegung.

Suzanne Noël, die zu Beginn des Buches noch nicht den Nachnamen Noël trägt, sondern Suzanne Gros heißt, wird 1878 geboren. Sie heiratet mit 19 Jahren den Dermatologen Henri Pertat, dessen Liebe sie anfänglich erfüllt, der hinter ihr steht und der ihr erlaubt, selbst ihr Abitur nachzuholen und zu studieren. Er unterstützt neben ihren intellektuellen Interessen auch ihre Ausflüge in die Kunstwelt, in Salons, Museen und zu Soireen.

Nach dem Abitur schreibt sich Suzanne 1905 für ein Medizinstudium ein, das sie mit exzellenten Noten abschließt. Während des Studiums lernt sie einen anderen Mann kennen, André Noël. Er ist nicht so arriviert wie ihr Ehemann, wohnt in einer kleinen Wohnung, lebt ein Studentenleben und geht auf die Boulevards. Suzanne beginnt eine Affäre mit André Noël und bekommt 1906 eine Tochter mit ihm, Jacqueline.

Suzanne beginnt als Externe bei Professor Morestin zu arbeiten, der sie in die Gesichtschirurgie einführt. Er ist ein Pionier auf diesem Gebiet. 1909 wechselt Suzanne zu dem Dermatologen Brocq am Hôpital Saint-Louis, der als ein Begründer der modernen Dermatologie in Frankreich gilt. Hier lernt sie den Einsatz von Duschmassagen mit Hochdruck kennen, die zur Behandlung von Hautkrankheiten eingesetzt werden. Ihre Arbeit als Interne beginnen André und Suzanne 1912 bei Professor Brocq.

Suzanne beginnt sich für Schönheitschirurgie zu interessieren, insbesondere für das Straffen der Haut und das Entfernen von Falten. Sie vertieft ihr Wissen über die Gesichtschirurgie und lässt sich von Patienten, die sich in den USA liften ließen, erklären, wie das Verfahren hierfür funktioniert, um es schließlich selbst an Kaninchen auszuprobieren und nach dem Verfahren von Raymond Possat durchzuführen. Auch die Pariser Frauen wollen ebenfalls jung bleiben und kommen zu ihr in die Praxis.

Im ersten Weltkrieg operierte Suzanne Noël als Assistentin von Thierry de Martel die entstellten Soldaten und stellte ihre Gesichter chirurgisch wieder her. Ihr erster Mann und ihr Geliebter kämpften beide als Soldaten im Krieg, sodass Suzanne die Tochter Jacqueline allein großziehen musste. André Noël und Suzanne heiraten 1919 nach dem Tod von Henri Pertat im Krieg. Sie ziehen in eine große Wohnung an den Champs-Elysées, doch das Glück währt nicht lange.

Als die Tochter an einer Krankheit stirbt, versinkt der zweite Ehemann im Alkohol und stirbt schließlich bei einem wahrscheinlichen Selbstmordversuch in der Seine. Suzanne operierte nach dem Tod der beiden Nahestehenden weiter Gesichter in ihrer Wohnung. Doch zunehmend widmete sie sich auch der Sache der Frauen, indem sie zum Beispiel gemeinsam mit anderen berufstätigen und selbstständigen Frauen 1924 die Soroptimist-Bewegung in Paris mitbegründete.

Soroptimist-International ist eine Bewegung für Menschenrechte, die Frauenrechte und den Schutz von Mädchen. Die Mitglieder heißen Soroptimistinnen, von lateinisch sorores optimae, ,die besten Schwestern‘. Im Namen der Frauenbewegung engagierte sich Suzanne Noël auch im Ausland, sie unternahm zahlreiche Reisen, um die Rechte der Frauen auch in anderen europäischen Ländern, darunter in den Niederlanden, Deutschland und Österreich, zu stärken und dort Soroptimistinnen-Clubs zu gründen.

Während des Zweiten Weltkriegs operierte sie Widerstandskämpfer und von den Deutschen gesuchte Juden, um deren Aussehen zu verändern. Suzanne Noël praktizierte bis zu ihrem Tod als Ärztin, doch zunehmend wurde ihr Augenlicht schlechter und sie musste sich schließlich selbst einer Augenoperation unterziehen. Die letzten Seiten des Buches über Suzanne Noël sind sehr schön illustriert, man sieht, wie sie zunächst fast blind war und dann plötzlich wieder sehen kann.

Auch der Rest des Buches ist in schönen, angenehmen Farben gezeichnet, in Rot, Gelb, Braun, Blau, Farben, die dafür sorgen, dass man sich wohlfühlt mit der Protagonistin, mit ihr mitfühlt, ihr Leben gern verfolgt. Suzanne Noël war eine Vorreiterin als Chirurgin und Ärztin und zeichnet sich zudem durch ihr Engagement für die Frauenrechte und das Wahlrecht der Frauen in Frankreich und im europäischen Ausland aus. Erst 1945 erhielten Frauen in Frankreich das Recht zu wählen. Immerhin hat Suzanne Noël dies noch miterlebt.

Suzanne Noël ist für Leïla Slimani ein frühes Beispiel einer Feministin, die alle Hindernisse überwindet und ihren Weg geht. Freilich kann nicht jeder und jede diesem Beispiel folgen, doch als Hoffnungsgestalt für junge Frauen und Mädchen kann Suzanne Noëls Fall dienen, um ihnen zu zeigen, was alles möglich ist, wenn eine Frau gelernt hat, für die eigenen Wünsche einzustehen und diese konsequent in die Tat umzusetzen.

Bewertung: ⭐⭐⭐⭐ 4/5

Leïla Slimani/Clement Oubrerie: Eine freie Frau. Eine Graphic-Novel. btb Verlag. 16 €.

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