Bücher wie „Ein wenig Leben“

Mein absolutes Lese-Highlight dieses Jahres war „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara. Das Buch, das ich bisher nicht auf dem Blog rezensiert habe, behandelt die Lebensläufe von vier College-Freunden in New York, die ein Leben lang ihre Freundschaft pflegen werden. Im Zentrum der Gruppe steht der erfolgreiche und sympathische Jude, der als Anwalt Karriere macht. Er muss zugleich mit seiner traumatischen Vergangenheit zurechtkommen, von der er lange Zeit niemandem erzählt, da er sich für die Narben von gestern schämt.

Was mir an „Ein wenig Leben“ gefallen hat, war nicht nur der Inhalt – die lebenslange Freundschaft von vier einander eng verbundenen, vertrauen Personen, die man im echten Leben kaum je so finden wird, sondern vor allem auch die raffinierte, ja manipulative Erzählweise mit Rückblenden in die Vergangenheit, die es verstand, die Leserinnen und Leser über 960 Seiten im Bann zu halten und einen gelungenen Spannungsbogen aufzubauen. Manchmal musste ich das Buch zur Seite legen, weil mir die Schilderungen von Judes vergangenen Erlebnissen etwas nahe gingen, doch im Großen und Ganzen hat mir die Lektüre den Atem geraubt.

Alternativen für die Zeit nach „Ein wenig Leben“

Doch ich habe bereits viel zu viel über „Ein wenig Leben“ geredet. Denn heute möchte ich über Bücher sprechen, die ähnlich wie „Ein wenig Leben“ sind. Ich habe in den vergangenen Wochen hin und wieder in Buchhandlungen explizit die Frage an Buchhändlerinnen gestellt, ob sie mir ein Werk empfehlen können, das eine solche Ähnlichkeit besitzt. Manche Buchhändlerinnen waren daraufhin etwas ratlos, weil „Ein wenig Leben“ demnach für sich allein stehe und nichts anderes an es herankomme, andere haben ihr Glück probiert. Die Werke, die mir die zweite Gruppe vorschlug, werde ich euch im Folgenden kurz vorstellen:

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„Ich bleibe hier“ von Marco Balzano

Marco Balzano: Ich bleibe hier. Diogenes.

Marco Balzanos Roman „Ich bleibe hier“ war ein Nummer-1-Bestseller in Italien und steht derzeit auch in Deutschland auf der SPIEGEL-Beststeller-Liste. Und auch wenn ich in Regel bei Bestsellern eher skeptisch bin, hat mich das Thema des Romans über Südtirol zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nämlich vor, während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht nur auf Anhieb gepackt, sondern konnte mich auch überzeugen. Das Buch nimmt den Platz auf der Bestenliste zu Recht ein!

Die Geschichte des Buchs spielt, wie bereits erwähnt, im Vinschgau, genauer in der Gemeinde Graun. Dort leben die Erzählerin Trina, die zu Beginn der Geschichte mit ihren Freundinnen Maria und Barbara eine Ausbildung zur Lehrerin macht. Parallel dazu verliebt sich Trina in den Bauern und Waisenjungen Erich, den sie später heiraten wird und mit dem sie zwei Kinder bekommen wird, zunächst Michael und vier Jahre später Marica, die die Mutter nach einer Romanfigur benennt.

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„Der letzte Satz“ von Robert Seethaler

Robert Seethaler: Der letzte Satz.
Hanser Berlin.

Weil mir „Der Trafikant“ von Robert Seethaler gut gefallen hat, das Buch über die Freundschaft eines jungen Trafikanten und Sigmund Freuds im Wien des beginnenden Nationalsozialismus, habe ich mir auch das neue Buch vom Autor Seethaler gekauft: „Der letzte Satz“. Zwischen „Der Trafikant“ und „Der letzte Satz“ schrieb Seethaler zwei weitere Romane. Darin geht es – wie auch in „Der letzte Satz“ – um das Thema der Rückschau auf das Vergangene geht. „Ein ganzes Leben“ (2014) thematisiert das Leben des Andreas Eggerer in seinem angestammten Tal, das er nach vielen Jahren Revue passieren lässt. In „Das Feld“ (2018) erzählt Seethaler die rückblickend die Lebensgeschichten von rund zwei Dutzend toten Menschen.

Bei dem Rückblick bleibt Seethaler auch in „Der letzte Satz“, wie es schon im Adjektiv des Titels anklingt: Das Werk handelt von dem Komponisten Gustav Mahler, der von seinem nahenden Tod weiß. Er befindet sich auf einer Schiffsreise von New York nach Europa, die er fiebrig auf dem Deck der America verbringt. Währenddessen denkt er an die Geschehnisse aus der Vergangenheit zurück: Vom Urlaub in den Bergen mit seiner Familie über den Tod seiner Tochter Maria, seine Erfolge als Musiker in Wien und New York, eine Episode beim berühmten Bildhauer Rodin in Paris bis hin zu dem Scheitern der Ehe mit seiner Frau Alma, die aber dann doch weiter zu ihm hält.

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„Auf dem Weg zu Swann“ von Marcel Proust

Marcel Proust
(Bild: Otto Wegener)

Seit einiger Zeit lese ich „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust. Die „Suche“ ist auf Deutsch in zwei Ausgaben erhältlich: einerseits beim Suhrkamp-Verlag in der Übersetzung von Eva Rechel-Mertens, andererseits beim Reclam-Verlag in der Übersetzung des Linguisten Bernd-Jürgen Fischer. Ich habe mir die Reclam-Übersetzung besorgt.

Der erste Teil der „Recherche“: „Combray“

Der erste Band der „Recherche“, den ich gerade lese, heißt „Auf dem Weg zu Swann“ und besteht aus drei Teilen: „Combray“, die Kindheitserinnerungen des jungen Ich-Erzählers an die Ferien in dem fiktiven Dorf Combray, „Eine Liebe von Swann“, ein Roman im Roman, in dem die Liebe Swanns zu Odette beschrieben wird, die er im Salon der Verdurins kennenlernt, und „Ländliche Namen: Der Name“, in dem die Reisewünsche des Ich-Erzählers zur Sprache kommen und in dem er Gilberte, die er in Combray flüchtig gesehen hat, in Paris wieder begegnet. Die Reclam-Ausgabe umfasst Anmerkungen, Literaturangaben, eine Inhaltsübersicht mit Kapitelüberschriften und Seitenangaben und einen Namensindex.

Wie Marcel Proust erzählt

Besonders gefällt mir das langsame Erzähltempo in Prousts Werk, von dessen Erzähler man vielleicht annehmen kann, dass er ebenfalls Marcel heißt. (Doch selbstverständlich ist er nicht mit dem Autor Marcel Proust identisch.) Man muss sich dem Roman beim Lesen ganz hingeben, um die langen Sätze, die Proust formt, auskosten zu können. Die Perioden über mehrere Zeilen haben etwas Beruhigendes und können einen sogar in den Schlaf wiegen.

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„Der Fetzen“ von Philippe Lançon

Philippe Lançon: Der Fetzen. Klett-Cotta 2019.

Philippe Lançon, ein französischer Journalist, Literatur- und Kulturkritiker und Autor, schreibt für die Zeitung Libération und die Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Am 7. Januar 2015 nimmt er an der Redaktionskonferenz bei Charlie Hebdo teil, als zwei bewaffnete Islamisten das Gebäude stürmen. Er überlebt schwerverletzt. „Der Fetzen“ ist das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo.

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