Der französische Schriftsteller Gustave Flaubert (1821, Rouen – 1880, Canteleu) schrieb seit seiner Jugend. Doch da er hohe Ansprüche an sein eigenes Schreiben hatte, veröffentlichte er seine Manuskripte zunächst nicht. Sein erstes gedrucktes Werk, „Madame Bovary„, erschien im Jahr 1858 in der Revue de Paris. Diesem Werk möchte ich mich heute widmen.
Doch zunächst noch etwas zu Flaubert selbst: Heute erscheint Gustave Flaubert als einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der eine Schlüsselposition einnimmt, besonders angesichts von „Madame Bovary“, „Die Lehrjahre der Gefühle“ und des historischen Romans „Salambo“. Flaubert gilt als einer der großen Realisten der französischen Literatur neben Balzac und Stendhal.
Die zentrale Figur von „Madame Bovary“ ist Emma Bovary. Emma Bovary stammt aus einem Bauernhaushalt vom Lande, ihr Vater ist der Monsieur Rouault, ein zuverlässiger, gutmütiger Landmann. Emma Bovary wurde zur Erziehung in ein Nonnenkloster gegeben, sie ist hübsch und anmutig und hat eine gute Erziehung genossen. Im Nonnenkloster hat eine Besucherin, die regelmäßig Bücher mitbrachte, sie in die Welt der trivialen Literatur und insbesondere der Liebesliteratur eingeführt, deren Ideale sie fortan mit der Realität verwechselt. Emma Bovary ist geplagt von emotionalen Abgründen. Sie ist nach der Heirat mit dem Landarzt Charles Bovary gelangweiligt und leidet an einer Nervenkrankheit – heute würde man sie wohl als manisch-depressiv einordnen.
Charles Bovary ist Emma Bovarys Ehemann. Er ist verwitwet, ehe er die Ehe mit Emma Rouault eingeht. Seine erste Ehe war er aus reinen Vernunftgründen eingegangen. Die zweite Ehe hingegen geht er aus Herzensgründen ein. Charles erscheint trotz seiner Ausbildung zum Arzt, die er mit aller Mühe erfolgreich absolviert hat, als ein wenig naiv. Er wurde bereits in der Schule für seine merkwürdige Kleidung und sein ländliches Benehmen belächelt und auch während seinem späteren Ausbildungsgang konnte er nicht mit den anderen Studenten mithalten, was das Benehmen angeht. Er ist in jeder Hinsicht Durchschnitt, aber zufrieden mit seinem Leben als Landarzt.
Die leicht aparte Emma lernt Charles kennen, als er einen Beinbruch bei Monsieur Rouault, dem Vater des Mädchens, heilen muss. Während dieser Zeit, in der er noch in erster Ehe verheiratet ist, besucht Charles die Familie Rouault häufig. Als die erste Ehefrau von Charles Bovary überraschend stirbt, wird die Ehe mit Emma arrangiert, in die Charles abgöttisch verliebt ist. Doch Emma langweilt sich, von ihren Liebesidealen beeinflusst, in der ländlichen Eheeinsamkeit rasch. Sie wird von einem Ennui geplagt. Noch schlimmer wird ihre Krankheit, nachdem Charles und sie auf einen aufwändigen Ball auf einem benachbarten Schloss eingeladen waren. Der Alltag in Tostes erscheint ihr nun umso langweiliger. Da Emma sich zunehmend über Tostes beschwert, hält Charles einen Umzug für sinnvoll. Emma ist schwanger, als die beiden in den größeren Marktflecken Yonville-L’Abbaye umsiedeln. Hier endet der erste Teil.
Der zweite Teil beginnt mit der Ankunft in Yonville. Die Familie Bovary freundet sich mit der Familie des Apothekers Homais an, der den neuen Arzt mit offenen Armen empfängt. Im Haus des Apothekers wohnt auch der Jurastudent und Kanzlist Léon, der sich wie Madame Bovary für Literatur und die Musik interessiert, wie sich bald herausstellt. Die beiden scheint eine Seelenverwandtschaft zu verbinden.
Einige Monate nach der Ankunft in Yonville kommt die gemeinsame Tochter Berthe zur Welt. Charles platzt vor Freude, doch an Emmas Unzufriedenheit ändert auch die Geburt der Tochter nichts, die sie hässlich findet. Sie ist enttäuscht von der Geburt einer Tochter, da sie es bevorzugt hätte, einen Jungen zu bekommen. Sie scheint kaum von ihrer Tochter Notiz zu nehmen, die von einer Amme, Madame Rollet, gepflegt wird. Nach außen gibt Emma allerdings die liebevolle Mutter. Léon glaubt ihr und reist nach Paris ab, da seine Liebe zu Emma nicht erwidert wird. Nach Léons Abreise kauft Emma Luxuswaren, um den Verlust zu kompensieren, und verschuldet sich immer mehr bei dem Händler Lheureux. Sie gibt sich dem Ennui hin und verliert den Glauben an ein besseres Leben. Für ihren Ehemann empfindet sie keine Liebe mehr, während dieser weiterhin nur das Beste für sie möchte.
Sie lernt den Gutsbesitzer Rodolphe kennen, der sie bei einem Ausritt zu Pferd verführen kann. Die Affäre mit dem gutaussehenden Schürzenjäger nährt ihre romantische Sehnsucht. Sie macht ihrem Geliebten teure Luxusgeschenke, die sie bei Lheureux erwirbt. Dass Rodolphe berechnend und kaltblütig ist, verkennt Emma allerdings. Sie ist Hals über Kopf in ihn verliebt.
Charles Bovary führt eine neuartige Operationsmethode an dem jungen Hippolyt durch, mit der dessen Klumpfuß behoben werden soll. Emma und sein Umfeld ermutigen ihn dazu, da dies seinem Ruf als Arzt dienlich sein kann. Die Operation scheint zunächst zu gelingen, doch schon bald stellt sich heraus, dass die Operation fehlgeschlagen ist. Das operierte Bein muss von einem Arzt aus Rouen amputiert werden. Dieser berufliche Fehlschlag führt dazu, dass Emma ihren Ehemann noch weniger respektiert.
Emma möchte mit Rodolphe und ihrer Tochter nun sogar nach Italien fliehen. Am Tag vor der geplanten Abreise erhält sie jedoch einen Brief von Rodolphe, dass dieser bereits alleine abgereist ist. Nachdem sie von Rodolphe verlassen wurde, erkrankt Emma schwer. Sie fällt in ein Delirium. Ihr ahnungsloser Ehemann pflegt sie liebevoll wochenlang und vernachlässigt darüber sogar seinen eigenen Beruf. Charles leiht sich Geld von Lheureux. Emma erholt sich wieder. Nachdem sie auf dem Krankenbett religiöse Visionen hatte, verfällt sie nach ihrer Genesung in eine Art Büßerrolle und wird plötzlich sehr gläubig. Zur Abwechslung fährt Charles mit ihr auf Anregung von Monsieur Homais ins Theater nach Rouen. Dort treffen sie auf Léon, der mittlerweile weltgewandter geworden ist. Hier endet der zweite Teil.
Während Charles wieder abreist, bleibt Emma noch in Rouen und beginnt eine Affäre mit ihrem ehemaligen Liebhaber Léon. Sie gibt nun vor, Klavierstunden zu nehmen, um sich mit Léon in Rouen treffen zu können. Doch auch die Affäre mit Léon kommt zu einem Ende, als Treffen mit ihm schaler werden.
Der Händler Lheureux, bei dem Emma zahlreiche Wechsel unterschrieben hat, hat diese unterdessen weitergegeben. Er möchte nicht länger auf sein Geld warten. Auch auf Bitten Emmas möchte er ihr keinen Zahlungsaufschub mehr gewähren. Den Bovarys droht die Pfändung. Doch Emma erzählt ihrem Ehemann Charles noch immer nicht davon. Vielmehr bittet sie verschiedene Leute um Geld, darunter auch ihre ehemaligen Liebhaber Rodolphe und Léon. Doch sie wird von allen abgewiesen, da sie die Summe, die Emma bräuchte, nicht aufbringen können. In ihrer Notlage verschafft sich Emma Zugang zum Giftraum des Apothekers Homais, wo sie Arsen schluckt. Selbst aus der Stadt herbeigeholte Ärzte können nichts gegen die Vergiftung Emma ausrichten. Nach einem langen und grausamen Todeskampf stirbt sie.
Charles ist fortan mit Berthe und der Haushälterin Félicité allein. Er sieht sich nunmehr den Geldforderungen und der Pfändung ausgesetzt. Der Apotheker Homais kündigt die soziale Verbindung zu Charles Bovary, nachdem dieser einem Abstieg ausgesetzt war. Charles findet zudem die Briefe Léons an Emma und Rodolphes Bild. Kurz nachdem er von Emmas Liebschaften erfahren hat, stirbt er moralisch verzweifelt, verwahrlost und verarmt. Die Tochter wird zuerst zur Großmutter gegeben, die aber ebenfalls bald stirbt, weshalb das Mädchen bei einer verarmten Tante landet, die es zum Geldverdienen in eine Baumwollspinnerei schickt.
Die Inspiration für Flauberts Emma Bovary war ein Zeitungsbericht aus dem Journal de Rouen von 1848, der den Selbstmord der französischen Arztgattin Delphine Delamare aus Ry bei Rouen vermeldete. Wie Emma Bovary verließ Delamare ihr ländliches Zuhause im jungen Alter von 17 Jahren, um einen Gesundheitsoffizier zu heiraten, der wie Charles Bovary Witwer war. In dem Namen von Madame Bovary findet sich eine versteckte Anspielung auf den Ort Ry, aus dem Delphine Delamare stammte, da -ry die letzte Silbe von Bovary bildet.
Neben Hinweisen auf tatsächliche Personen und Ereignisse finden sich im Roman auch autobiographische Hinweise: Gustave Flaubert war wie Berthe ein ungeliebtes Kind gewesen. Er hatte ein Jura-Studium begonnen, ehe er sich der Schriftstellerei widmete, wie Léon in dem Roman, und sein Vater war ein angesehener Chirurg gewesen, wie Charles Bovary ein Arzt war. Wie Emma Bovary litt Gustave Flaubert an einer Nervenkrankheit. Zudem ist Rouen, der Ort, an dem Flaubert geboren wurde, ein Schauplatz der Handlung in dem Roman.
Was mir an dem Roman gefallen hat, war die realistische Darstellung des Geschehens und der Charaktere. Nicht umsonst gilt das Werk als eines der Schlüsselwerke des französischen Realismus. Man kann sich beim Lesen aufgrund der detaillierten Schilderungen des Geschehens, der Umgebung und teilweise auch der Gefühle in die Figuren und ihr Leben hineinversetzen. Wie bei Flaubert üblich ist das Buch in einer möglichst objektiven Weise niedergeschrieben, die ihm von manchen als kalt, unmenschlich und zu wenig anteilnehmend an den Figuren ausgelegt wird. Diese Einschätzung möchte ich aber nicht teilen.
Die einzige Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe, war, wieso der allzu gutmütige Charles Bovary von den Liebesabenteuern seiner Frau während der ganzen Zeit der Handlung nichts bemerkte, bis er am Ende des Romans die Überbleibsel ihrer Affären auffindet. Und selbst da zögert er noch in den Privatsachen seiner Frau zu stöbern. Die Gutgläubigkeit, ja Naivität dieses Mannes ist tatsächlich etwas unglaubwürdig. Neben die gutmütige Solidität von Charles tritt die unglaubliche Launenhaftigkeit seiner Ehefrau, die mit zwei verschiedenen Liebhabern ein Verhältnis führt, während sie mit Charles Bovary verheiratet ist. Und jedes Mal ist es für sie erneut die große Liebe, so wie sie auch bei ihrem Ehemann zunächst an die Liebe glaubte, bis sie seine Schwächen entdeckt hat und das Interesse an ihm verlor.
An Madame Bovary ist höchstens ihre Weltfremdheit etwas unglaubwürdig, was die Finanzen angeht. Denn sie häuft ohne Unterlass Schulden bei dem Händler Lheureux an, ohne darauf zu achten, ob sie diese eines Tages wieder zurückzahlen kann. In dem Glauben, dass sie ein Leben über ihre Verhältnisse führen kann, führt sie dieses einfach, indem sie Wechsel unterschreibt. Doch kann eine fantasiegetriebene, von Literatur sozialisierte Frau tatsächlich so gedankenlos handeln? An Madame Bovary zeigt Flaubert, was passieren kann, wenn man sich ganz den eigenen Träumen hingibt. Sie ist eine Frau, die Träume hat, sie aber nicht verwirklichen kann, da sie immer wieder an den gesellschaftlichen Beschränkungen scheitert.
Madame Bovary ist, so könnte eine Interpretation lauten, eine an der Gesellschaft gescheiterte Existenz, die sich in die Liebe und den Luxus flüchtet. Nicht ohne Grund wünscht sie sich einen Jungen als Kind: Denn für Jungen und Männer gelten in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts weniger Beschränkungen als für Frau, wie sie richtig beobachtet. Doch auch ihre Ausflüchte aus der sie nicht zufriedenstellenden Ehe machen sie nicht auf Dauer glücklich. Im Gegenteil, sie führen zur Katastrophe. Am Ende bezahlt Madame Bovary ihr luxuriöses Leben, das über ihre Verhältnisse ging und sie in den Ruin trieb, mit dem Leben. Die Verzweiflung treibt sie zum Selbstmord durch Gift. Der Suizid bildet den endgültigen Abschluss eines gescheiterten Traum.
Ist das der Preis dafür, dass sie nie zufrieden war? Hätte sie sich vielleicht mit weniger zufrieden geben sollen? Alles scheint so, als hätte sie ein glückliches und moderates Eheleben neben Charles Bovary führen können, wenn sie diesen geschätzt und ihre Position in der Gesellschaft angenommen hätte. Doch da Emma Bovary mehr gewollt hat, gar nicht anders konnte, als ihren Träumen nachzuhängen und ihren mittelmäßigen Ehemann zu verachten, ist sie gestürzt. Sie ist an der Ehe gescheitert, am Frausein im 19. Jahrhundert, am Glücklichsein, an der Liebe. Sie wollte mehr, als sie hatte, sie wollte ein Leben wie in den Büchern, die sie als Jugendliche gelesen hatte. Das ist das Tragische, aber auch das Faszinierende an dieser Figur, deren Geschichte die LeserInnen bis heute beschäftigt. Erst 2015 wurde der Roman zuletzt für die Kinoleinwand adaptiert.
Ich habe den Roman auf Französisch gelesen, verlinke euch aber hier eine deutsche Version in der Neuübersetzung von Elisabeth Edl, erschienen 2012 im Hanser-Verlag.
Bewertung: 5/5
ISBN: 9783446239944