Der Bamberger Autor Martin Beyer schreibt mit „Und ich war da“ einen Roman über einen Mitläufer im Zweiten Weltkrieg. Zunächst erleben wir den Alltag von August Unterseher, des Ich-Erzählers und Protagonisten, auf dem väterlichen Bauernhof. Er und sein Bruder Konrad werden vom zuerst nur tyrannischen, später auch saufenden Vater zur Arbeit getrieben und müssen sich vor seinen Ausfällen in Acht nehmen, wenn sie nicht spuren. Die Mutter ist bereits tot.
Vor dem Krieg erleben die beiden Brüder eine Zeit zwischen Hitlerjugend und Bauernhof. Konrad, Augusts Bruder, macht sich gut in der Hitlerjugend und wird zum Reichsarbeitsdienst (RAD) eingezogen. August lernt Paul, einen Querdenker, kennen, dessen Familie sich später ins italienische Exil zu retten versucht. Außerdem macht August die Bekanntschaft seiner ersten Liebe, der Kommunistin und Schwarzhändlerin Isa.
Sie und ihr Bruder leben ihm, ebenso wie Paul es tat, Lebensentwürfe vor, die der Nazi-Propaganda widersprechen. Doch August wählt nicht den Weg des größeren Widerstands; im Gegenteil, er wird wie viele andere zum Mitläufer. Er hält still und macht, was von ihm verlangt wird.
Wie heißt es im zweiten Teil des Textes immer wieder?
Weitermarschieren. Immer weitermarschieren.
Das war vielleicht die Parole dieses Mitläufers, der in diesem Text sein Leben Revue passieren lässt und uns Leser daran teilhaben lässt. Die Schreibweise ist elegant, lebhaft und ehrlich. Mich hat diese allumfassende Ehrlichkeit beim Lesen in ihren Bann gezogen, auch wenn ich mich sonst nicht so sehr für Kriegsgeschichten interessiere.
Der zweite Teil des Buches befasst sich mit den Kriegserlebnissen des Erzählers, August. Zunächst wird August von seiner Tochter Anna, einer Psychologiestudentin, dazu überredet, sich mit dem Klarträumen oder auch Luziden Träumen zu befassen.
Sie ermutigte mich mehrfach, meine Geschichte endlich aufzuschreiben. Ich weigerte mich zunächst, war eine klapprige Verdrängungsmaschine, aber bei einem Telefonat sagte sie einen Satz, der etwas in mir in Bewegung brachte: „Damit ich dich endlich kennenlernen kann, bevor es zu spät ist.“ Konnte es sein, dass sie mich überhaupt nicht kannte?
Daraufhin schreibt August in den 80er Jahren die Zeit vor dem Krieg und daraufhin auch die drei „Träume vom Krieg“ nieder, die allesamt in Russland spielen und stets etwas abrupt enden, wie es Träume so an sich haben. Er begibt sich auf einfühlsame Weise aus seiner Kapsel heraus, damit seine Tochter und seine Frau ihn kennenlernen können, der bisher alle Erlebnisse für sich behalten hatte. Die Erzählungen vom Krieg sind fesselnd, doch manchmal bleibt unklar, was Realität, was Traum, was Trauma ist. Wahrscheinlich ist diese Unklarheit intendiert, sind es doch keine Kriegsberichte, die man hier liest, sondern vielmehr drei „Träume vom Krieg“. Auch Märchengeschichten aus Russland flicht Beyer in seine Kriegserzählungen mit ein.
Die Hauptsache ist doch, dass der Erzähler im Alter über sein Mitläufertum nachdenkt. Zuletzt wird August Unterseher im Jahr 1943 zu einem Mittäter im Prozess gegen die Geschwister Scholl. Als er seinem Leben ein Ende setzen möchte, wird er beinahe zufällig zum Gehilfen des Scharfrichters Johann Reichhart und steht Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst gegenüber. Dabei wird ihm zuletzt klar, dass sein Leben auch anders verlaufen hätte können.
Dieser Schlussteil des Buches löste Kontroversen im Feuilleton aus. Darf man den Mord an den Geschwistern Scholl in der Fiktion darstellen? Der letzte Teil wurde als „unausgegoren“ beschrieben. Er soll die „Ausdrucksweise des Romans“ schmälern. Dass Beyer historische Personen benutzt, um einen fiktiven Text aufzuwerten, wurde ebenfalls kritisiert. Beim Bachmann-Preis 2019 sorgte der in Bamberg lebende Autor mit Auszügen aus „Und ich war da“ für große Diskussionen.
Die Debatte um das Werk von Beyer zeigt, dass das Thema der Nazi-Zeit bis heute nichts von seiner Sprengkraft eingebüßt hat, wenn man nur die richtige Art des Umgangs damit findet.
5/5
ISBN 9783843721660