Ist unsere Demokratie in Gefahr oder wirkt es nur so?
Stehen wir kurz vor Mitternacht oder ist es längst schon fünf nach zwölf?
In vielen europäischen Demokratien gewinnen rechtspopulistische Ideen, Konzepte und Narrative zunehmend an Einfluss. Was früher am Rand der Gesellschaft stand, ist heute nicht nur sagbar, sondern vor allem auch denkbar geworden. Begriffe, die einst als Tabu galten, haben Einzug in die politische Debatte gehalten – und verändern sie nachhaltig.
Weiterlesen: Demokratie in Gefahr? Das sind 9 Bücher zum Zustand der DemokratieDiese Verschiebung des Sagbaren ist vielleicht das Gefährlichste an der aktuellen Entwicklung. Denn wer den öffentlichen Diskurs verändert, beeinflusst langfristig auch das Denken, Handeln und Entscheiden.
Ein Grund mehr, genau jetzt innezuhalten und den Zustand unserer Demokratie kritisch zu hinterfragen.

Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie.
Im Jahr 2024 legt der Handelsblatt-Redakteur Maximilian Steinbeis ein ebenso klarsichtiges wie eindringliches Buch vor. Ausgehend von politischen Entwicklungen in Ländern wie Ungarn, Polen oder Frankreich zeigt er, wie verletzlich unsere Demokratie tatsächlich ist. Steinbeis richtet sich mit einem leidenschaftlichen Appell an die deutsche Öffentlichkeit: Wir dürfen die Augen nicht verschließen – weder vor populistischen Parolen noch vor den stillen Erosionen demokratischer Strukturen.
Sein Buch ist ein flammendes Plädoyer für mehr Wachsamkeit, Zivilcourage und den entschlossenen Schutz unserer offenen Gesellschaft. Denn nicht nur die politische Kultur, auch die Institutionen und Gesetze sieht er durch rechtspopulistische Kräfte bedroht. Mit scharfem Blick und klarer Sprache ruft er dazu auf, die Demokratie nicht als Selbstverständlichkeit zu begreifen – sondern als ein wertvolles Gut, das täglich verteidigt werden muss.
Hanser Verlag. 2024. 25 Euro.

Jürgen Wiebicke: Erste Hilfe für Demokratie-Retter.
Wie viele andere blickt auch der Kölner Radiojournalist Jürgen Wiebicke (WDR 5) mit Sorge auf den Zustand unserer Demokratie. Rechtsextreme Abgeordnete und Politiker äußern ihre radikalen Ansichten ganz offen – und drängen damit demokratische Kräfte immer stärker in die Defensive.
Doch Wiebicke will sich mit dieser düsteren Diagnose nicht abfinden. Statt nur zu warnen, ruft er zum Handeln auf. In seinem Buch liefert er eine Art Erste-Hilfe-Kasten für die Demokratie: eine Anleitung für alle, die sich nicht machtlos fühlen, sondern aktiv etwas tun wollen. Mit klaren Regeln, praktischen Tipps und ermutigenden Beispielen zeigt er, wie jeder Einzelne im Alltag Haltung zeigen und demokratische Werte verteidigen kann – im Gespräch mit Freunden, am Arbeitsplatz oder in der Familie.
Denn eines macht Wiebicke deutlich: Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie lebt davon, dass wir sie tagtäglich gestalten und schützen – mit Mut, Klarheit und Engagement.
Kiepenheuer & Witsch. 2024. 12 Euro. (Taschenbuch)

Demokratie: Wofür es sich jetzt zu kämpfen lohnt.
In diesem vielstimmigen Buchprojekt setzen namhafte Autorinnen und Autoren, darunter Lukas Bärfuss, Gabriele von Arnim, Dinçer Gücyeter, Michael Maar und Clemens J. Setz, ein Zeichen für die Demokratie. Zur Bundestagswahl 2024 beantworten sie auf je eigene Weise die Frage: Was macht die Demokratie im Innersten aus, und was steht auf dem Spiel, wenn sie bedroht ist?
Die Beiträge sind persönlich, literarisch, politisch, mal leise, mal kämpferisch. Sie zeigen: Demokratie ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der Engagement und Verantwortung braucht. Dieses Buch öffnet Möglichkeitsräume und erinnert daran, warum es sich lohnt, jetzt aktiv für die Demokratie einzutreten.
Ein engagiertes und zugleich reflektierendes Lesebuch für alle, die nicht zuschauen, sondern mitgestalten wollen.
Rowohlt Verlag. 2024. 24 Euro.

Sebastian Klein: Toxisch reich. Warum extremer Reichtum unsere Demokratie gefährdet.
Sebastian Reich, Mitgründer der App Blinkist, ist über Nacht zum Milliardär geworden, und dennoch warnt er eindringlich vor dem Einfluss extremen Reichtums auf unsere Gesellschaft. Für ihn ist es ein Widerspruch, dass Demokratien, die auf Gleichheit und Teilhabe bauen, eine Vermögensverteilung zulassen, bei der immer weniger Menschen immer mehr besitzen. Reich spricht offen aus, was viele in der Politik lieber verschweigen: Wenn Geld zu viel Macht bekommt, droht der gesellschaftliche Zusammenhalt zu bröckeln.
Bemerkenswert ist, dass es oft gerade Menschen mit viel Geld sind, die auf die Schieflage hinweisen. Ist es Reue, Verantwortungsbewusstsein oder der klare Blick aus der privilegierten Perspektive? Vielleicht von allem ein wenig. Reich jedenfalls fordert, das Tabu um Vermögensgerechtigkeit zu brechen, nicht als Neiddebatte, sondern als notwendige Diskussion darüber, wie wir unsere Gesellschaft fair und zukunftsfähig gestalten können. Es bleibt die Frage: Warum braucht es erst Stimmen von oben, damit Missstände unten gehört werden?
Oekom Verlag. 2025. 19 Euro.

Timothy Snyder: Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand.
Timothy Snyders „Über Tyrannei“ ist ein schmales Buch, doch seine Botschaft ist umso gewichtiger und das Buch ist inzwischen ein moderner Klassiker, auch als Graphic-Novel verfügbar. Der angesehene Historiker zeigt darin in zwanzig klaren Lektionen, wie schnell Demokratien zerbrechen können, wenn wir nicht wachsam bleiben. Was auf den ersten Blick wie ein Rückblick auf den Faschismus des 20. Jahrhunderts wirkt, ist in Wahrheit eine eindringliche Warnung vor heutigen Gefahren: autoritäres Denken, Hetze, Lügen, der schleichende Verlust von Freiheit.
Snyder erinnert daran, dass Tyrannei nicht plötzlich über ein Land hereinbricht, sondern sich schrittweise entwickelt, fast unmerklich. Gerade deshalb fordert er zum Nachdenken und Handeln auf: Zivilcourage zeigen, unabhängige Medien unterstützen, sich nicht an das Unrecht gewöhnen. Seine Beobachtungen zur politischen Entwicklung in den USA sind alarmierend – viele der Warnzeichen, die er beschreibt, sind dort bereits Realität geworden. Kein Wunder also, dass Snyder mittlerweile in Kanada lebt. Sein Buch ist kein Geschichtsbuch im klassischen Sinn, sondern ein Aufruf: wach bleiben, handeln, bevor es zu spät ist.
C. H. Beck. 2022. 14 Euro.

Philip Banse/Ulf Buermeyer: Baustellen der Nation. Was wir jetzt in Deutschland ändern müssen.
Philip Banse und Ulf Buermeyer, bekannt aus dem erfolgreichen Podcast „Lage der Nation“, legen mit „Baustellen der Nation“ ein kluges und pointiertes Buch vor – ein Weckruf für die deutsche Politik. Die beiden Journalisten analysieren darin, wie Deutschland in zentralen Bereichen wie Bildung, Energie und Infrastruktur ins Straucheln geraten ist – und was jetzt passieren muss, damit sich das Blatt noch wendet. Ihr Ziel: eine demokratische, zukunftsfähige Gesellschaft, in der rechtsextreme Kräfte keine Chance bekommen.
Mit klarer Sprache, fundierter Recherche und einem unüberhörbaren Appell an die Gestaltungsverantwortung der Politik zeigen Banse und Buermeyer, wie der schleppende Ausbau der Windenergie endlich Fahrt aufnehmen kann, warum Schulen ein digitales Update brauchen und wie eine moderne Verwaltung aussehen sollte. Baustellen der Nation ist keine düstere Zustandsbeschreibung, sondern ein pragmatischer Werkzeugkasten voller Ideen – am besten griffbereit auf jedem politischen Nachttisch.
Ullstein Verlag. 2024. 14,99 Euro. (Taschenbuch)

Philipp Ruch: Es ist 5 vor 1933. Was die AfD vorhat und wie wir sie stoppen.
Der Gründer des „Zentrums für politische Schönheit“ Philip Ruch verfasst mit „Es ist 5 vor 1933“ einen Weckruf gegen die AfD, die sein Zentrum bereits mit verschiedenen Störaktionen auch medial wirksam vorgeführt hat. Mit dem Buch möchte Ruch darauf aufmerksam machen, dass immer größere Teile der Gesellschaft bis hinein in die Mitte sich mit den menschenfeindlichen Äußerungen und Ansichten der Rechtsaußen-Partei AfD abzufinden scheinen. Ruch sieht auch klar, welchen Plan die AfD verfolgen würde, wäre sie einmal Regierungspartei: die Demokratie abschaffen und Deutschland umbauen. Er plädiert daher für ein Verbot der Partei.
Ludwig Verlag. 2024. 16 Euro.

Thomas Mann: Zur Verteidigung der Demokratie: Politische Schriften.
Thomas Mann, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, verließ 1933 sein Heimatland und ging ins Exil, zunächst in die Schweiz, später in die Vereinigten Staaten. Erst 1952 kehrte er nach Europa zurück. In diesen Jahren der politischen Unsicherheit und des Umbruchs setzte sich Mann intensiv mit dem Thema Demokratie auseinander. Die nun im Rowohlt-Verlag erschienene neue Ausgabe seiner politischen Schriften versammelt zahlreiche Texte, in denen er für Freiheit, Vernunft und Verantwortung eintritt.
Was beim Lesen dieses Bandes besonders auffällt: Wie eindringlich und zugleich zeitlos Manns Worte sind. Seine Gedanken zur Bedrohung demokratischer Werte, zur Rolle des Bürgers in der Gesellschaft und zur Macht des Wortes wirken heute fast erschreckend aktuell. In einer Zeit, in der Europa erneut mit politischen Krisen, Nationalismus und gesellschaftlicher Spaltung ringt, erscheinen diese Texte nicht nur als historische Dokumente, sondern als lebendige Mahnung. Sie eröffnen neue Perspektiven und fordern dazu auf, Haltung zu zeigen.
Rowohlt Verlag, hrsg. von Matthias Löwe und Kai Sina. 2025. 16 Euro. (Taschenbuch).

Arne Semsrott: Machtübernahme: Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Eine Anleitung zum Widerstand.
Arne Semsrott ist Politikwissenschaftler und Leiter des Transparenz-Portals „FragDenStaat“, das sich für Informationsfreiheit und staatliche Nachvollziehbarkeit einsetzt. Bekannt wurde er durch Recherchen und Klagen, unter anderem im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der „NSU-Akten“.
In seinem Buch „Machtübernahme“ entwirft Semsrott ein Szenario, in dem eine rechtsextreme oder völkisch-nationalistische Partei in Deutschland an die Macht gelangt. Er nimmt aktuelle Umfragewerte und politische Entwicklungen zum Anlass, um mögliche politische, institutionelle und gesellschaftliche Veränderungen durchzuspielen. Das Buch versteht sich als Analyse und zugleich als Warnung vor einer politischen Entwicklung, die lange Zeit als unwahrscheinlich galt, inzwischen aber konkrete Konturen annimmt.
Droemer Verlag. 2024. 22 Euro.