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Zum 150. Proust-Jubiläum: Marcel Prousts Fragebogen / le questionnaire de Proust

Am 10. Juli, also gestern, feierte man allenthalben das 150. Jubiläum von Marcel Prousts Geburtstag. Es ist nunmehr anderthalb Jahrhunderte her, dass Proust auf die Welt kam. Der Autor des siebenbändigen Monumentalwerkes und Jahrhundertromans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist nicht nur für seine erlesenen literarisch-ästhetischen Gedankengänge, seine umfassenden Natur-, Personen-, Beziehungs- und Gesellschaftsbetrachtungen des fin de siècle und seine Gedanken zum Thema Erinnerung, Vergessen und Zeit bekannt. Er beantwortete als Jugendlicher und junger Mensch mehrmals Fragebögen, in denen er selbst Auskunft über sich gab. Diese Fragebögen, denen sich Marcel Proust erstmals im Jahr 1887 und danach erneut 1892 unterzogen hat, nehme ich zum Anlass für meinen ersten Beitrag zu Marcel Proust, um das 150. Jubiläum zu würdigen.

Marcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in dem edlen Pariser Vorort-Viertel Auteuil geboren. Er besuchte das Lycée Condorcet. In dieser Zeit, am 4. September 1887 beantwortete Proust erstmals den berühmten Fragebogen von Antoinette Faure, daraufhin fünf Jahre später im Jahr 1892 im Alter von 21 Jahren erneut. Hier bilde ich die Fragebögen von 1887 und 1892 ab, wie er sie beantwortet hat – ein interessanter Einblick in seine Persönlichkeit und deren Entwicklung.

18871892
Ihre bevorzugte TugendAlle Tugenden, die nicht für eine Sekte spezifisch sind, die universellen.
Der wesentlichste Aspekt Ihrer Persönlichkeit.Das Bedürfnis, geliebt zu werden; genauer gesagt, vielmehr das Bdürfnis, gestreichelt und verwöhnt zu werden als nach Bewunderung.
Die Qualität, die ich mir bei einem Mann wünsche.Intelligenz, ein Sinn für Moral.Männliche Tugenden, und Offenheit in der Freundschaft.
Die Qualität, die ich mir bei einer Frau wünsche.Sanftmut, Natürlichkeit, Intelligenz.Weiblicher Charme.
Was gefällt mir am besten an meinen Freunden.Wenn sie zärtlich zu mir sind, wenn ihre Persönlichkeit wundervoll genug ist, um den Wert dieser Zuneigung hoch zu veranschlagen.
Mein größter Fehler.Dass ich nicht weiß, was ich will; meine Willensschwäche.
Meine Lieblingsbeschäftigung.Das Lesen, Träumen, Gedichte, Geschichte, Theater.Zu lieben.
Mein Traum vom Glück.Nahe bei denen zu leben, die ich liebe, und mit dem Charme der Natur; mit einer Menge Bücher und Partituren, nicht weit von einem Theater.Ich fürchte, er ist nicht groß genug, ich wage es nicht, davon zu sprechen, ich habe Angst, ihn zu zerstören, wenn ich von ihm spreche.
Was wäre mein größtes Unglück?Von Maman getrennt zu sein.Meine Mutter oder meine Großmutter nicht gekannt zu haben.
Wer ich gern wäre.Da ich mir die Frage nicht zu stellen brauche, ziehe ich es vor, sie nicht zu beantworten. Ansonsten wäre ich gern Plinius der Jüngere gewesen.Ich selbst, wie mich die Leute, die ich bewundere, gern hätten.
Das Land, in dem ich am liebsten leben würde.In einem idealen Land, oder vielmehr, in einem Land meines Ideals.Ein Land, in dem gewisse Dinge, die mir gefielen, wahr würden wie von Zauberhand, und wo Zuneigung immer erwidert würde.
Meine Lieblingsfarbe.Ich liebe sie alle.Die Schönheit liegt nicht in den Farben, sondern in ihrer Harmonie.
Meine Lieblingsblume.Weiß nicht.Ihre/Seine – und danach alle.
Mein Lieblingsvogel.Die Schwalbe.
Meine bevorzugten Prosa-Autoren.George Sand, Auguste Thierry.Zur Zeit Anatole France und Pierre Loti.
Meine bevorzugten Poeten.Musset.Baudelaire und Alfred de Vigny.
Meine fiktiven Heroen.Die Helden poetischer Romane, solche, die eher ein Ideal als ein Modell sind.Hamlet.
Meine fiktiven Heroinen.Jene, die mehr als nur Frauen sind, ohne dabei ihr Geschlecht zu verleugnen, alles was poetisch zart, rein, schön in allen Gattungen ist.Beatrice.
lbum Proust, hrsg. von Pierre Clarac und André Ferré, Paris: Gallimard, 1965 (zitiert nach: Bernd-Jürgen Fischer: Auf der Suche nach Marcel Proust: Ein Album in Bildern und Texten, Ditzingen: Reclam, 2020, S. 18-19)

Diesen Fragebogen nahm ich als Orientierung und Muster, um ihn mit meinen persönlichen Antworten auszufüllen. Die Fragen des folgenden Fragebogens stammen aus der Vorlage, die auch Proust beantwortete, die Antworten allerdings von mir. Viel Vergnügen!

Ihre bevorzugte TugendGerechtigkeitssinn, da ohne Gerechtigkeit eine Gesellschaft auf Dauer nicht bestehen kann. Außerdem Ehrlichkeit.
Der wesentlichste Aspekt Ihrer Persönlichkeit.Offenheit und Ehrlichkeit, manchmal in zu großem Ausmaße, doch im Grunde lebe ich, indem ich mich bisweilen ein wenig zügele, damit gut. Außerdem oft ein gutes Timing, d. h. ein Erspüren des richtigen Augenblicks (auf Gr. Καιρός).
Die Qualität, die ich mir bei einem Mann wünsche.Intelligenz, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und ein Wille, das eigene Leben zu gestalten, sowie eine Empathiefähigkeit und die Abwesenheit von Jähzorn oder anderen schlechten Extremen.
Die Qualität, die ich mir bei einer Frau wünsche.Ebenfalls Intelligenz, die Abwesenheit von Falschheit und Arroganz, Warmherzigkeit und ein Gespür für das Menschliche, ein literarisch-ästhetisches Interesse.
Was gefällt mir am besten an meinen Freunden.Dass sie zuverlässig und meist aufrichtig sind. Und dass sie nicht alle gleich sind, sondern verschieden mit unterschiedlichen Hintergründen. Varietas delectat.
Mein größter Fehler.Dass ich Fehler manchmal zweimal mache.
Meine Lieblingsbeschäftigung.Lesen und Schreiben, am Bildschirm oder klassisch analog auf Papier, Zeitungen, Artikel, Blogs oder Romane und Sachbücher.
Mein Traum vom Glück.Das Ideal und der Traum: Ein Zweitwohnsitz am Strand in Südeuropa oder in einem von einem Fluss durchzogenen idyllischen Tal. Und realistischer: Hin und wieder ein Urlaub, ansonsten ein tätiges, dennoch angenehmes Leben mit guten (nicht zu vielen) Freunden, Familie und vielen Büchern.
Was wäre mein größtes Unglück?Der Verlust meiner Augen – ich sehe zu gern (zu) und beobachte aufmerksam, was um mich herum geschieht. Außerdem der Verlust meiner Eltern.
Wer ich gern wäre.Ein erfolgreicher Schriftsteller oder Feuilletonist, der zurückgezogen (auf dem Land?) lebt und von seinem Schreiben leben sowie über sein Leben schreiben kann.
Das Land, in dem ich am liebsten leben würde.Frankreich, mein Lieblingsland und das Land meiner Träume.
Meine Lieblingsfarbe.Blau, in seinen verschiedenen Schattierungen: marine- und dunkelblau, aber auch petrol oder türkis.
Meine Lieblingsblume.Die Mohnblume, weil sie so ephemer, empfindlich und fein ist.
Mein Lieblingsvogel.Der Kolibri oder der Storch.
Meine bevorzugten Prosa-Autoren.Gustave Flaubert, Marcel Proust, Guy de Maupassant, James Baldwin, Leïla Slimani, Patrick Modiano, Hanya Yanagihara.
Meine bevorzugten Poeten.Du Bellay, Apollinaire, Baudelaire, Rimbaud, Paul Celan, Rose Ausländer, Heinrich Heine, Friederike Mayröcker.
Meine fiktiven Heroen.Odysseus, Achill und Patroklos, Aeneas.
Meine fiktiven Heroinen.Penelope, Phaedra, Medea, Sappho, Bérénice.
Fragebogen übernommen aus Album Proust, hrsg. von Pierre Clarac und André Ferré, Paris: Gallimard, 1965 (zitiert nach: Bernd-Jürgen Fischer: Auf der Suche nach Marcel Proust: Ein Album in Bildern und Texten, Ditzingen: Reclam, 2020, S. 18-19); Antworten von mir

Seit einigen Jahren ist außerdem bekannt, dass Marcel Proust am 25. Juni 1887, also in der Zeit vor den Antworten auf die anderen beiden Fragebögen, einen weiteren Fragebogen beantwortete, der allerdings weitgehend aus anderen Fragen besteht. Bernd-Jürgen Fischer (2020: 22) vermutet, dass dieser Fragebogen aus dem Juni 1887 für einen kleineren und privaten Adressatenkreis bestimmt war, da Proust darin die höfliche Anrede mit „Sie“ wählt. So sind heute insgesamt drei verschiedene Fragebögen oder questionnaires de Proust überliefert – aus denen man auf die Persönlichkeit des jungen Schriftstellers Proust schließen kann.

Dieser Beitrag ist inspiriert durch die Gewinn-Aktion mit thematischem Bezug zu Marcel Prousts Fragebogen, welche Herr und Frau Klappentexterin veranstalteten. Vielen Dank für die Idee!

2 thoughts on “Zum 150. Proust-Jubiläum: Marcel Prousts Fragebogen / le questionnaire de Proust

    1. Ja, nachdem ich den Artikel veröffentlicht habe, habe ich heute ebenfalls an den Fragebogen von Max Frisch gedacht. Den mit etwas zeitlichem Abstand zu beantworten, wäre sicher auch noch interessant.

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